Tragischer Rockstar des Krieges: ‚War Machine‘ auf Netflix

General McMahon marschiert der Enttäuschung entgegen (Foto: © Francois Duhamel / Netflix)
General McMahon marschiert der Enttäuschung entgegen (Foto: © Francois Duhamel / Netflix)

Netflix schickt Brad Pitt als schrulligen Vier-Sterne General nach Afghanistan. Der zweistündige Spielfilm „War Machine“ stellt die Frage nach dem Sinn des Einsatzes am Hindukusch. Eine Antwort hat die schwarze Komödie auch nicht.

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Das Timing der Veröffentlichung könnte kaum besser gewählt sein. Am Donnerstag den 25. Mai befremdete US-Präsident Donald Trump mit einem Polter-Auftritt beim NATO-Gipfel in Brüssel. In Washington wird unterdessen darüber gestritten, ob die amerikanischen Truppen in Afghanistan wieder aufgestockt werden sollen. Der Nationale Sicherheitsberater H.R. McMasters befürwortet diese Idee. Als Kandidat hatte sich Trump noch für einen Rückzug der USA aus den Kriegsschauplätzen der Welt ausgesprochen. Jetzt findet er sich in derselben Zwickmühle wieder wie der frisch gewählte Barack Obama 2008: Der Afghanistan-Krieg ist extrem unpopulär, aber ein Rückzug kann als Eingeständnis des Versagens ausgelegt werden. Trumps Vorgänger entschied sich für eine Ausweitung des Einsatzes. In seinem Spielfilm „War Machine“ erzählt Regisseur David Michôd eine Geschichte aus dieser Zeit, in der sich viele Militärs und Politiker weltfremden Illusionen hingaben.

Der Reporter und seine Story

Die Handlung des Films basiert lose auf dem Sachbuch-Bestseller „The Operators“ des 2013 verstorbenen Kriegsreporters Michael Hastings. Der portraitierte den US-Oberbefehlshaber Stanley McChrystal und die Offiziere in seinem Umfeld 2010 für die Zeitschrift The Rolling Stone. Sein Artikel „The Runaway General“ erregte weltweit Aufsehen. Darin zeigte Hastings die Entourage McChrystals als betrunkenen Haufen arroganter Draufgänger, die fortwährend derbe Witze reißen und ihre Verachtung für die Obama-Administration schamlos herausposaunen. Er zitierte zahlreiche abfällige Äußerungen der Männer über die politische Führung in Washington. Kurz nach der Veröffentlichung wurde Stanley McChrystal vom Präsidenten entlassen. Es war das abrupte Ende einer steilen Karriere. Zwei Jahre später legte Hastings in seinem Buch dar, wie es zu dem spektakulären Scoop gekommen ist. Die Story hinter der Story. Der Reporter äußerte aber auch seine Kritik an der US-Strategie in Afghanistan, die er für grundsätzlich verfehlt hielt.

Der General und sein Plan

Als Stanley McChrystal 2009 das Kommando über die ISAF-Truppen am Hindukusch übernahm, galt er als Hoffnungsträger. Der Absolvent der Eliteakademie Westpoint hatte fünf Jahre lang das Joint Special Operations Command geführt. Seine zentrale Aufgabe bestand in den Jahren nach 9/11 im  Gefangennehmen und Töten hochrangiger Terroristen im Irak. McChrystal war für unkonventionelle Methoden bekannt. Er holte Computerexperten in die Truppe: Gepiercte Computer-Nerds, die keinen einzigen Klimmzug machen konnten, hielten bärbeißigen Killern Vorträge über Informationsflüsse im Internet. So wurde der General zu einer Art Rockstar des Krieges. Sein hochprofessionelles Team brachte unzählige Al-Qaida-Kämpfer zur Strecke, unter anderem den Topterroristen Abu Musab Az-Zarqavi (mitsamt Familie).

Nach seiner Versetzung nach Afghanistan war McChrystal nicht mehr für geheime Black Ops zuständig, sondern Befehlshaber einer riesigen Armee. Der Auftrag: die Taliban vertreiben und das Land wieder aufbauen. Wie viele Militärstrategen hatte sich der General der Strategie der Counterinsurgency verschrieben. Kampfeinsätze sollten dieser Doktrin zufolge möglichst wenig zivile Opfer fordern und mit politischen und humanitären Maßnahmen verbunden werden. Den Taliban werde so die Unterstützung der Bevölkerung entzogen, glaubten die Strategen. Die umstrittene Theorie basiert im Wesentlichen auf Erfahrungen aus den Kriegen in Algerien und Vietnam. Eigentlich nicht gerade Vorbilder, die Erfolg versprechen. Befürworter wie McChrystal waren jedoch überzeugt, dass die Counterinsurgency bisher einfach nur falsch umgesetzt wurde.

Ein Rockstar im Tarnanzug

Und wer sollte es hinkriegen, wenn nicht McChrystal? Die US-Medien liebten den hochintelligenten, aber im zwischenmenschlichen Umgang eher spröden Offizier jedenfalls. Die New York Times zeigte sich begeistert von seiner Disziplin und seinem täglichen Lauftraining, bei dem er Audiobücher zu politischen Themen anhörte. Das Gesicht des asketischen Generals, der Fastfood in den Militärbasen verbot und selbst am Tag nur eine einzige Mahlzeit aß, zierte die Titelblätter von Time und Atlantic. McChrystal galt nicht zuletzt als cooler Dad: Als sein Sohn mit einem blauen Iro nach Hause kam, hatte er kein Problem damit. Womöglich rührte dieses Verständnis daher, dass er sich selbst innerhalb der strengen Hierarchie des Militärapparats gern als Provokateur inszenierte und die Grenzen seiner Vorgesetzten austestete.

Doch es gab keinen Neuanfang in Afghanistan. Weder unter dem Rockstar-General McChrystal noch unter seinem weniger exzentrischen Nachfolger David Petraeus erreichte das Counterinsurgency-Konzept seine Ziele. Von vielen Soldaten wurde es nicht verstanden. Alle Erfolge blieben Strohfeuer, schon bald glaubte niemand mehr an die Möglichkeit eines Sieges. Die ausländischen Truppen wurden von der Zivilbevölkerung nie auch nur ansatzweise so akzeptiert, wie die Strategen es sich ausgemalt hatten. Die Mission „Enduring Freedom“ endete mit einem schmachvollen Abzug, die Nachfolgemission „Resolute Support“ ist deutlich kleiner und weniger ambitioniert. Es gibt bis heute kaum staatliche Strukturen außerhalb der Hauptstadt. Der Afghanistan-Einsatz ist der langwierigste Krieg, in den die USA jemals verwickelt waren. Aber ist er auch ein geeigneter Stoff für eine Komödie?

War Machine: Lachen über den Krieg

Die Dreharbeiten zu War Machine begannen bereits 2015 in England, die Afghanistan-Szenen wurden in den Arabischen Emiraten gedreht. Aus juristischen Gründen wurden die meisten Namen der Personen geändert. An einigen Stellen erlaubte sich der Regisseur und Drehbuchautor David Michôd künstlerische Freiheiten, aber im Großen und Ganzen hielt er sich an die Buchvorlage. Sein Ziel war es, die Atmosphäre im inneren Kreis des Krieges einzufangen und mit überspitzter Satire zu hinterfragen.

Brad Pitt, den man so noch nicht gesehen hat, stattet seinen General Glen McMahon mit einer Reihe seltsamer Grimassen und einer eigentümlichen Körperhaltung aus. Der Zuschauer erlebt einen innerlich getriebenen Mann mit einem ungeheuren Hunger nach Anerkennung. Dem Antihelden ist nicht bewusst, dass er an gnadenloser Selbstüberschätzung leidet. McMahon zeigt sich gleichzeitig als furchtloser Krieger und Karikatur eines Soldaten. Er ist charismatischer Anführer und dümmliche Witzfigur. Dieser auf schrullige Weise tragische Mensch umgibt sich mit Speichelleckern, die ihn anhimmeln und dabei ebenso verblendet sind wie er selbst. So wird er fortwährend in seinem Irrglauben bestätigt, erfolgreich zu sein zu können, obwohl praktisch alles dagegen spricht.

Völlig verstört nimmt der übermotivierte General beispielsweise zur Kenntnis, dass der Präsident Hamid Karzai (Ben Kingsley) lieber im Bett liegt und Blu-Rays schaut, als sein Land zu regieren. Dennoch bemüht sich McMahon verzweifelt, den korrupten Loser zu einem politischen Führer aufzubauen, zu dem die Afghanen aufschauen können. Spoiler: Es klappt nicht, ist aber witzig.

Fazit: Sehenswert, mit Schwachstellen.

Regisseur Michôd möchte nicht den General als Person lächerlich machen, sondern ein System aufzeigen, das eitle Befehlshaber wie ihn produziert. Imponiergehabe und Größenwahn werden im militärischen Apparat allzu häufig mit Kompetenz und Führungsstärke verwechselt, argumentierte Hastings in seinem viel beachteten Buch. Es gehört zu den besten zum „Krieg gegen den Terror“. Michôds Film setzt diese These in eindrucksvolle Bilder um und wirft dabei spannende Fragen auf. Leider ist Brad Pitts Performance etwas zu hölzern, um wirklich mitzureißen. War Machine versucht sichan einem unmöglichen Spagat. Der Streifen möchte Groteske und Realismus vereinen, notfalls mit Gewalt. Das gelingt zwar im Großen und Ganzen und ist tatsächlich sehenswert. In seinen schwächeren Momenten kann sich der Film leider nicht zwischen Tragik und Klamauk entscheiden und weiß selbst nicht recht wohin mit sich.

General McMahon ist von seiner eigenen Großartigkeit fest überzeugt (Foto: © Francois Duhamel / Netflix)
General McMahon ist von seiner eigenen Großartigkeit fest überzeugt (Foto: © Francois Duhamel / Netflix)
Christoph M. Kluge
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