Brot #7

Fanzine

brot 7

Yippie, das Brot ist mit einer neuen Ausgabe zurück. Ich mag das Heft ja sehr. Ich finde die Mischung aus Politik, Nonsense und Haltung sowie Zinestandards immer wieder sehr gelungen. So auch wieder in dieser Ausgabe. Gleich zu Beginn gibt es ein herrlich chaotisches Interview mit der Band Ponys auf Pump, die ich vorher nicht kannte, aufgrund des wahnwitzigen E-Mail-Dialogs aber unbedingt anhören und dann auch für gut befinden musste. Direkt danach folgt ein Bericht zum 150. Jahrestag der Pariser Kommune, der wenig Neues oder Interessantes zutage fördert. Andererseits lesen das Brot vermutlich auch jüngere Punks, die von diesem kurzen Kapitel sozialistischer und anarchistischer Erhebung noch nie gehört haben. Die werden hier von Gastautor Jan vom Proud to be Punk gut in die Thematik eingeführt. Sehr schmunzeln musste ich auch bei den besten Punksongs über Tiere, um dann überrascht festzustellen, dass das vielleicht beste Lied über Hunde gar nicht aufgeführt ist: Das stammt von der Terrorgruppe und heißt “Hunde wollt ihr ewig leben?”. Sehr gefreut habe ich mich auch über das Interview mit Jose, der den großartigen YouTube Channel Tremendo Garaje betreibt und dort fast täglich Platten und Tapes großartiger, aber kaum bekannter Garage-Bands veröffentlicht. Ich folge dem Kanal schon seit ein paar Jahren und habe dank ihm einige geile Bands kennengelernt, die mir vermutlich sonst nie über den Weg gelaufen wären. Unbedingt auschecken!

Nutzwert mit Plattenladenreport

Das Brot ist natürlich auch ein Zine, das auf Nutzwert setzt und mit einem tollen Plattenladenreport Hamburg aufweist. Als ein Freund mich neulich nach guten Plattenläden in Hamburg fragte, schickte ich ihm einfach diesen Report und er war glücklich. Weitere Interviews gibt es zudem noch mit den Trümmerratten und Schlagerbernd sowie ein paar gut geschriebene Konzertberichte.

Den meisten Platz wurde in dieser Ausgabe Sandra und Roger von der Facebookseite #punktoo eingeräumt. Auf elf Seiten werden die beiden interviewt und im Großen und Ganzen, zumindest für Menschen, welche die Diskussion oder der Seite folgen, nacherzählt, was bislang erreicht wurde, wie unterirdisch manche Typen auf #punktoo reagiert haben und warum der Kampf gegen den Sexismus innerhalb der Szene leider noch immer notwendig ist. 

Merkwürdig finde ich dagegen, wie weiter auf dem Ox Zine herum gehackt wird. Ja, die “Freundin von…”-Geschichte war scheiße und die Reaktion des Ox darauf, freundlich ausgedrückt, zumindest mal verbesserungswürdig. Aber dass der erkennbare Wille der Ox-Redaktion mehr Bands mit nicht-männlicher Beteiligung in den Vordergrund zu rücken und das Thema der weiblichen Unterrepräsentiertheit in der Punk- und Hardcore-Szene (ich denke man könnte das auf Rockmusik insgesamt ausweiten, denn in anderen Sparten der Rockmusik sieht es nicht wesentlich anders aus) auch in den zahlreichen Interviews immer wieder zur Sprache bringt, oder das Special in Ausgabe #156, das versuchte mittels verschiedener Interviews und dem Abdruck einer Studie, die der Frage nachging, welche Geschlechter welche Instrumente präferieren, sofort als “Feigenblatt” und unehrlich abgetan wird, lässt mich dann schon fragen, was genau das Ziel der Kritik am Ox sein soll? Die bisherige Kritik hat anscheinend gefruchtet und das könnte man ja auch positiv sehen. Zum Schmunzeln brachte mich dann aber der Satz von Roger: “Der [Chefredakteur] hat auch ganz offen Menschen, die sich für #punktoo engagieren, in seinem Fanzine adressiert.” Ja und? Warum sollte er das nicht? Er wird von seinen Kritiker:innen ganz genauso offen adressiert. Da sollte man sich nicht wundern, dass Joachim Hiller es ihnen gleichtut.

Unterstellte Menschenverachtung

Wirklich ärgerlich wird es aber, wenn Feministinnen, die sich für das Nordische Modell, das ein Sexkauf-Verbot beinhaltet, mit dem SWERF-Ausdruck belegt werden und ihnen Menschenverachtung unterstellt und behauptet wird, sie wollten Sexarbeiter:innen, also Prostituierte, stigmatisieren. 

Niemand muss das Nordische Modell toll finden, doch zu behaupten, dessen Befürworter:innen würden Prostituierte stigmatisieren, ist schon eine krasse Unterstellung. 

Zwar ist Prostitution in Deutschland eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit, ein normaler Beruf ist es trotz allem nicht. Dafür muss man sich nur mal im Winter die jungen Frauen anschauen, die spätabends im Miniröckchen und dicker Daunenjacke vor dem Burger King auf der Reeperbahn in der Kälte stehen und auf Freier warten. Ich glaube nicht, dass auch nur eine dieser Frauen dort ihrem Traumjob nachgeht. “Sexarbeit” ist aber auch schon deshalb keine normale Arbeit, da sie viel gefährlicher ist als jede andere Arbeit. Ich empfehle das Blog “Sex Industry Kills”, das Gewalt und Mord an Frauen, die in der Sexindustrie tätig waren, auflistet. Und das sind dann doch deutlich mehr Todesfälle als in anderen Berufen wie zum Beispiel Dachdecker oder Bürofachkraft. Und dass die wenigsten Frauen ohne psychischen Knacks aus der Prostitution gehen, glauben selbst ehemalige Zuhälter nicht.

Hinzu kommt: Das deutsche Prostitutionssystem ist durch und durch rassistisch. Die meisten Frauen, die in Deutschland als Prostituierte arbeiten, kommen aus Osteuropa und werden oft mit falschen Versprechungen hergelockt. Darunter oft auch Frauen aus in ihren Heimatländern marginalisierten Gruppen. Sie verdienen hier zwar mehr als in ihren Heimatländern. Das schon. Aber macht es das besser? Wenn es um andere Branchen geht, spielen die Arbeitsbedingungen doch auch eine große Rolle und es wird versucht, mittels Fair Trade und ähnlicher Initiativen für bessere und sichere Arbeitsbedingungen und vor allem für eine angemessene Lohnzahlung zu sorgen. Und auch aus antikapitalistischer Sicht gibt es nichts an der Prostitution gutzuheißen. Natürlich findet Arbeit immer auch in einem Ausbeutungsverhältnis statt. Und so gesehen “prostituieren” sich alle, die einer Lohnarbeit nachgehen. Aber es ist schon noch etwas anderes, ob ich meinen Körper Männern zur sexuellen Befriedigung zur Verfügung stelle oder ob ich acht Stunden an einem Fließband stehe, an einer Supermarktkasse sitze oder in der Pflege tätig bin. Schon allein, weil es einen gewissen Arbeitsschutz gibt. 

Ich bin mir sicher, dass es Prostituierte gibt, die das aus freien Stücken machen, keinerlei psychische oder physische Schäden davon tragen und sich damit ein gutes Leben finanzieren. Aber diese sind in der absoluten Unterzahl und sollten nicht als Maßstab für alle genommen werden. Ich empfehle an dieser Stelle das Buch “Entmenschlicht”, der ehemaligen Prostituierten Huschke Mau. In dem Buch berichtet sie, wie sie selbst in die Prostitution geriet, wie ihr der Ausstieg gelang und warum sie sich für die Einführung des Nordischen Modells in Deutschland einsetzt. Ebenfalls empfehlenswert ist “Ausverkauft! – Prostitution im Spiegel von Wissenschaft und Politik” von Manu Schon, dass einen historisch-soziologischen Abriss zur Prositution liefert. Doch Menschen wie Huschke Mau sind mit dem Ausdruck SWERF gemeint und sollen also “Sexarbeiterinnen stigmatisieren”? Ernsthaft? Ist nicht das Gegenteil der Fall? Werden durch diese Stigmatisierung der Befürworter:innen des Nordischen Modells nicht die bestehenden sexistischen und antifeministischen Prostitutionsstrukturen gestärkt?

Sorry für den kleinen Rant, der mit dem Brot an sich nichts zu tun hat. Das zeigt aber auch, dass Yannig und Thommy ein Heft produzieren, das zum Nachdenken und Mitdiskutieren einlädt. Von daher ordert euch mal schnell das Brot unter brotfanzine@gmx.de. Ihr werdet es nicht bereuen.

Info

Format: A5

Website: www.facebook.com/brotfanzine

Falk Fatal
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