
Die späten 1970er und die frühen 1980er waren vielleicht der kreativste Zeitraum, den die deutsche Nachkriegsmusik jemals erlebt hat. Für kurze Zeit schien alles möglich. Punk, Dada, Wave, Funk in einen Topf geworfen und erzeugt mit Gitarren, Keyboards, Synthesizer, Kinderinstrumente, Stahlstangen, Metalltonnen, Dilettantismus und Improvisationen – alles was einen Ton fabrizieren konnte, wurde plötzlich zum Musikmachen genutzt. Wichtig war nicht, ob jemand eine musikalische Ausbildung hatte, sondern ob sie oder er Lust hatte, was zu machen. Das im “Sniffing Glue”-Fanzine vorgegebene Prinzip des “This is a chord. This is another. This is a third. Now form a band”-Prinzip wurde konsequent durchgezogen und so bildeten sich musikalisch so einzigartige und prägende Bands wie Einstürzende Neubauten, Mittagspause, Abwärts, SYPH, Die Radierer, Foyer des Arts, Malaria, Hans-A-Plast oder auch Der Moderne Man, die weniger durch einen einheitlichen Sound, sondern durch eine ähnliche Geisteshaltung und Kunstverständnis verbunden waren.
Hannover Punkrockcity
Zuletzt erwähnte Der Moderne Man kamen wie Hans-A-Plast aus Hannover und veröffentlichten ihre Schallplatten bei deren Label No Fun Records. Überhaupt Hannover. Wenn über die Frühphase des Punks in Deutschland gesprochen und geschrieben wird, konzentriert es sich meist auf Hamburg, Berlin und Düsseldorf. Dabei hatte auch Hannover eine gute und einflussreiche Szene. Denn neben Hans-A-Plast und Der Moderne Man gab es in jener Zeit noch weitere wunderbare Bands wie etwa Rotzkotz, Cretins, The 39 Clocks, Phosphor, Kaltwetterfront, Mythen in Tüten oder Bärchen und die Milchbubis.
Doch zurück zu Der Moderne Man und ihrem Debütalbum “80 Tage auf See”. Dieses erschien 1980, knapp ein halbes Jahr nach Bandgründung. Und kürzlich ist es endlich vom Hannoveraner Label Rockers neu aufgelegt worden.
John Peel war begeistert
Der legendäre Radiomoderator und DJ John Peel war ein großer Fan der Band und ließ das Lied “Gib mir den Tod” von der ersten Single in neun aufeinanderfolgenden Sendungen seiner Radioshow laufen – eine Ehre die nicht vielen Bands aus Deutschland zuteil wurde. Ich kann deshalb nicht verstehen, warum “80 Tage auf See” damals weniger gut angenommen wurde und Sänger Ziggy XY die Band kurz darauf schon wieder verließ. Ich kann John Peels damalige Begeisterung auch heute noch teilen.
“80 Tage auf See” ist ein tolles, ein wildes (“Licht und Dunkelheit”), ein experimentierfreudiges (“Gib mir den Tod” Remix), ein tanzbares (“Der Unbekannte”, “Dauerlauf”) und irgendwie auch dilettantisches Album, das in dieser Form vermutlich nur entstehen kann, wenn man ohne Vorerfahrung und feste Rockschemata im Kopf an die Sache herangeht.
Ein echter Klassiker neuaufgelegt
Ich bin sehr dankbar, dass dieser Klassiker neu aufgelegt wurde und kann wirklich nur allen empfehlen, sich diese Scheibe zu besorgen – sofern sie nicht schon im eigenen Plattenregal steht. Im Gegensatz zur Originalscheibe ist der Repress um die drei zusätzlichen Songs der ersten Single „Umsturz im Kinderzimmer“ ergänzt worden und die damalige LP-Version von „Gib mir den Tod“ wurde gegen die frühere 7“-Version ausgetauscht. Das macht diese Wiederveröffentlichung auch interessant für alle, die das mittlerweile recht hoch gehandelte Original noch im Schrank haben.

Info
Format: LP
Label: Rockers
Label Website: www.rockers.de/
Band Website: https://de-de.facebook.com/dermoderneman/
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So Musik war für mich in der damaligen Zeit der Horror!
Das ist Studentenmukke! langweilig und Pseudolyrische Texten.
Furchtbar!
Konzerte mit solche Bands musste man damals öfters über sich ergehen lassen, man wusste es nicht besser, da es kein Internet gab um sich mal schnell die Musik bei youtube anzuhören-
Das erinnert mich daher an mein erstes Konzert in der Batschkapp. Am 3.7.1981 spielten dort Totto Lotto aus Frankfurt und NoAid aus Wiesbaden.
Für mich als Landei aus Kreuznach war die Fahrt dorthin eine Tortur. Ich bin vom Hauptbahnhof zur Batschkapp gelaufen – da es mir damals nicht möglich war heraus zu finden wie man mit dem ÖVP dorthin gelangt. Ich galueb ich bin fast 3 Stunden gelaufen. Auch die Rückfahrt war ein Desaster. Ab Mainz fuhr kein Zug, so dass ich irgendwann Nachts um 3 an der Saarstrasse in Mainz schlief und über viele Umwege nach Hause kam. Im zarten Alter von 16. Wenn meine Mutter gewußt hätte wo ich unterwegs war …
Von Totto Lotto gibt es nur einen Blogeintrag (vielleicht funktioniert der Downloadlink noch)
https://brotbeutel.blogspot.com/2009/08/toto-lotto-extended.html
Aber NoAid gibt es auf Bandcamp und meine Erinnerung hat mich nicht getrügt – es war furchtbar (zum Glück hatte mich einer von Totto Lotto umsonst reingelassen, da ich bereits Stunden vor dem Konzert vor der Tür saß)
https://noaid80.bandcamp.com/
John Peels Musikgeschmack ist meines erachtens nicht über alle Zweifel erhaben oder man ist auch ein Freund von Studentenmukke 🙂
Warum wundert es mich nicht, dass Der Moderne Man nicht Deins sind 🙂
Aber nach dieser Erfahrung ist das vielleicht auch nicht verwunderlich.
Ich mag Studentenmukke bisweilen ja sehr gerne und schreibe ja selbst öfters pseudolyrische Texte. Vermutlich liegt es daran.
Vielen Dank für die Links. No Aid habe ich mir gleich einmal heruntergeladen. Bin immer gespannt wie Bands aus Wiesbaden damals klangen. Der Totto Lotto Downloadlink funktioniert leider nicht mehr. Hätte mich schon sehr interessiert, wie die Band klingt, die angeblich Schuld daran ist, dass sich in Frankfurt die Onkelz und der Durstige Mann gegründet haben.
Stimmt zippyshare ist auch down. Ich hatte mir die Datei runtergeladen, ich kann sie dir mal irgendwo hin packen zum runterladen.
Ja, das war damals eine Seuche.
Interessanterweise kommt der Konflikt von damals in deinem Podcast mit Raidy auch immer mal wieder vor. Ich meine beim Interview mit Dominik. Wo Raidy anklingen lassen hat, dass er verwundert ist ob diese Zustimmungen zu manchen aktuellen Themen in der „Szene“ nicht ungewöhnlich wäre? Und ich meine da raus gehört zu haben, dass du das auch nicht so richitg nachvollziehen konntest.
Das juckt mich aber auch immer wieder, dass das Kontroverse und der Nihilismus der dem Punk innewohnt heute einem Aktivismus gewichen ist, der in vielen Punkten denen der Hippies damals ähnlich ist. Noch erstaunlicher ist das, wenn man dann sieht, dass viele Themen eigentlich im Mainstream völlig legitim sind, d.h. der Punker von heute hat die gleiche Haltung wie Zeit-, Taz- oder ZDF-Journalistin. Wo ich dann nicht mehr mitkomme.
Da ist dann auch eine Grundlage der damaligen Abneigung. Als ich mich dem Punk hinwendete war für mich der Grund, vor allem die Abneigung gegen Normen, die du in einem bestimmten Milieu hattest, vor allem in ländlichen Regionen (soweit ich weiß lebte ich damals nicht fern der Region, wo auch der Raidy gross wurde). Paarbildung, Familiengründung und Arbeitskarriere waren dort vorgezeichnet und auch exakt so vorgesehen. Wenn du da nicht mitmachen wolltest, warst du sozial Aussenseiter.
Das heißt viele der frühen Punks kamen aus so einem Umfeld weil sie sich aus diesen Pflichten lösen wollten. Das läßt sich heute schön sehen, wenn du die Interviews in so Dokus wie „no future“ oder „Randale und Liebe“ anschaust. Das sind einfache Leute, keine Studenten.
https://www.youtube.com/watch?v=iTvnJU0Vvl8
https://www.youtube.com/watch?v=K2HwCIlCiJ8
Aber Über die Leute gibt es heute keine Bücher, logisch weil Haupschüler keine Bücher schreiben. und die Abiturenten von damals haben halt „der Moderne Man“ oder „Der Plan“ gehört und deshlab kennt man vieles vor allem aus dieser Szene.
Aber der harte Bruch wurde damals durch das Zap oder Trust massiv eingeleitet und damals letztlich vollendet. das war letztlich genau das Hauptschüler gegen Abiturient, letztere wollten nicht mehr mit den anderen zusammen was machen und starteten ihre eigene Bewegung.
Über die frühere Zeit schrieb aber Frank Apunkt mal von der für mich anderen Seiten (lustig ist hier, dass er den Begriff Hardcore für die Asipunx verwednet, der dann später das Synonym für die Abi Punks wurde):
https://www.intro.de/popmusik/geisterfahrer-matthias-schuster
„Dass Mittagspause etwa sich erfrechten, in der Markthalle in Holzfällerhemden aufzutreten, konnten die Hardcore-Punks natürlich nicht durchgehen lassen. Erst später entstand dann mit dem Krawall 2000 ein Veranstaltungsort, der sich ganz in den Händen des wertkonservativen Punk-Milieus befand, was dazu führte, dass die Kunst-Punk-Szene, die zur frühen NDW wurde, und die Hardcore-Fraktion sich – in ihrer jeweiligen Nische eingefriedet – gegeneinander abschotteten. Die subkulturelle Öffentlichkeit zerstob so in zahlreiche, sich schnell verwirbelnde Szene-Späne.“
Mich nerven zwar so Pauschalisierungen, aber ich finde es gut formuliert und es trifft eben die damalige Auseinandersetzung richitg. Für mich war früher auch immer klar wenn mich irgendwelche Studenten angelabert haben „ich früher auch mal Punk“ – Nein! das warst du nicht, du wolltest deine Eltern ein bisschen ärgern, jetzt machst du Hochschulkarriere.
Es gibt halt unterschiedliche Sichten auf die Welt, die einen umgibt. Und für Toleranz braucht man die Fähigkeit die Welt der anderen zu verstehen, um zu erkennen was er möchte.
Ich habe übrigens immer grosse Freude an solchen Künstler gehabt, die die Grenzen der Kunst überschreiten. Nur die Musik, die einem gefallen soll muss die Gefühle vermitteln die einen umtreiben und das taten solche Bands bei mir eben nicht und sie liefen für mich damals nicht unter dem Label Punk.
Manchmal aber schon z.b. Palais Schaumburg
Ja, Raidy versucht den Konflikt immer mal wieder heraufzubeschwören. In den Patreon-Folgen noch mehr als in der Folge mit Dominik. Einerseits sticht Raidy da natürlich in ein kleines Wespennest, ich habe ja Abitur und Studium gemacht, andererseits kenne ich es nur zu gut, ich komme selbst vom Land und wollte da so schnell weg wie es geht, weil ich da nicht reingepasst habe. Ich finde auch diese Trennung in Studentenpunk und „richtigem“ Punk oder Straßenpunk doof. Ich höre mir beides gerne an und finde, beides gehört dazu.
Und davon abgesehen: Gab es diese Trennung nicht schon immer? Hier die Kunststudenten, die The Clash, dort Chelsea, die singen: „We have the Right to work“?
Ich war damals nicht dabei, als sich Trust und Zap gründeten, da war ich gerade im Kindergarten, haha. Kann ich also nicht beurteilen, wie krass diese Spaltung war.
Und das viele Themen mittlerweile im Mainstream legitim sind, liegt vielleicht daran, dass einige, die damals Punk waren oder damit in Berührung kamen, heute bei ARD, Taz, ZDF oder generell in den Medien arbeiten. Und ist es wirklich so schlimm, das manche Themen heute liberaler behandelt werden als früher? Ich finde nicht. Und sind dann Bands wie Crass oder Conflict auch Hippies?