DER PLAN – UNKAPITULIERBAR

NDW-Elektro-Pioniere

Foto: Oliver Schultz-Berndt
Foto: Oliver Schultz-Berndt

„Unkapitulierbar“ heißt das neue Album der Punk-Elektro-NDW-Pop-Pioniere Der Plan. Unser Gastautor und wahrscheinlich weltgrößer Der-Plan-Fan Helge Wagner hat sich „Unkapitulierbar“ angehört. Er ist begeistert!

Wow, die erste Platte des Plans seit 25 Jahren… so behauptet zumindest das Label im Presse Zettel. Der Nerd rechnet nach: Stimmt tatsächlich, das wäre dann die erste seit 1992, der offiziellen Auflösung der Band: 1991 wurde „DIE PEITSCHE DES LEBENS“ veröffentlicht, noch einmal mit Dorau und Pyrolator getourt und das war’s dann mehr oder weniger…

Bei dieser Rechnung werden die beiden anderen „letzten Alben des Plans“ allerdings nicht mit einbezogen: „LIVE AT THE TIKI BALLROOM“ (’93) und „DIE VERSCHWÖRUNG“ (2004 – Eigentlich von Der Plan 4.0). Ich kann gewisse Anklänge an diese beiden quasi posthumen Veröffentlichungen heraus hören und trotzdem scheint Der Plan erst jetzt wieder, mit „UNKAPITULIERBAR“, alles wirklich richtig gemacht – vielleicht zum Kern des Plans zurückgefunden zu haben. Insofern ist die Rechnung richtig, und Der Plan ist jetzt, nach 25 Jahren, endlich und WIRKLICH wieder da!

Relaxed sommerlich geht es mit „WIE DER WIND WEHT“ los. Im Call and Response Verfahren beschreiben angenehme Stimmen die Wirkungen des Windes im Allgemeinen und blasen mit einer sanften Brise erst mal kurz die vielleicht verstaubten Erwartungen vom Tisch. Kein Schock entsteht dadurch, sondern vielmehr ein angenehmes „OK ich bin bereit für den Plan!“. Auch wenn das musikalisch irgendwie erwachsen klingt, merkt man bald, dass das unvoreingenommene Staunen über scheinbar Alltägliches, für das ich den Plan immer sehr schätzte, auch 2017 noch vorhanden ist. Ohne viel Umschweife folgt der Dancefloor Schieber dieser Platte: „LASS DIE KATZE STEHN!“ geht mächtig nach vorne los und macht Spaß. Dank seines unwiderstehlich uplifting Beats und den lustig-freakigen Synth- und Orgel Sounds bouncen schon 6 Monate alte Babies entzückt zu dem Song. Das ist nicht das letzten Mal, dass auf „UNKAPITULIERBAR“ Themen wie Gentrifizierung und Kapitalismus 3.0 anklingen: Entspannt, vielleicht auch resigniert heißt es hier: „…zieh doch gleich hier ein oder nimm das ganze Haus mit, schenk Dir meine Strasse, nimm die ganze Stadt, nimm dir was du willst…“. Hier hält jemand die rechte Arschbacke hin, nachdem er in die linke bereits einen saftigen Arschtritt vom neo-iberalen Establishment erhalten hat. Kommt mir irgendwie bekannt vor, dieses Gefühl… Welche Katze da aber unter allen Umständen stehen gelassen werden soll, das weiß nur Der Plan (Und vielleicht Vescoosa…).

Nach einigen schönen Kraftwerk-esquen Schlussakkorden folgt mit „MAN LEIDET HERRLICH“ ein richtiges Reggae Stück: Nachdem er (Der Reggi) schon auf dem Debut „Geri Reig“ von 1980 persifliert wurde, der Hit „DA VORNE STEHT NE AMPEL“ im Grunde ein verquerer Reggae war und vor allem auf den letzten Veröffentlichungen vor der Band-Trennung mehr und mehr Reggae-haftes auftauchte, klingen die Dub-Elemente hier schliesslich und wirklich vertraut nach dem Plan. Mittzwanzigjährige ewige Kinder sind das nicht mehr, sondern alle drei inzwischen Jung- (oder Kind-)gebliebene um die 60… Und so muss das dann wohl klingen, wenn viel gereiste Herren, die so Manches, aber nicht alles Erhoffte vom Leben geschenkt bekamen, ein gewisses vorläufiges Resümee ziehen. Schon wieder die Vokabel entspannt aber eben auch realistisch – allerdings nicht verbittert – so würde ich es mir zumindest wünschen.

Eine Platte von Der Plan ist immer eine gute Idee. Foto: Oliver Schultz-Berndt
Eine Platte von Der Plan ist immer eine gute Idee. Foto: Oliver Schultz-Berndt

Dann mein persönlicher Hit: „GRUNDRECHT“ greift erneut ein tagespolitisches Thema auf: „Ein Zuhause für jeden Menschen, ein Dach, ein Haus, ein Land, ein Recht“. Das klingt nach „Gibst Du mir Steine, dann geb ich Dir Sand“ von den Zeitgenossen Palais Schaumburg und zitiert doch allerhöchstens den simplen Duktus. Inhaltlich ist das höchst aktuelle und dringlich – und hat Potential für eine politische Hymne, gesungen von Tausenden, die ausnahmsweise mal für humanistische Ziele auf die Strasse gehen. Vielleicht demnächst in unserer Stadt? Richtig gelungener Agitprop ist das, ein Wort, das in den 80s gerne mal von dem Plan-eigenen Label Ata Tak verwendet wurde, nämlich die perfekte Verbindung von politischen Inhalten und Pop-Appeal… Ich ertappe mich dieser Tage dabei, wie ich durch meine Wohnung tapse und dieses catchy „Wow-Wow-Wow“ vor mich hin flüstere… Ähnlich subtil politisch äußert sich „GESICHT OHNE BUCH“ und klingt dabei angenehm nach dem Plan aus den späten 80er/frühen 90er Jahren – damals wie heute kohlenschwarz und genussvoll pessimistisch. Ich fühle mich mit jedem neuen Song mehr zuhause. Warum hast Du uns so lange alleine gelassen, Plan?

Der Plan live 1980 Foto: R.G.Gleim
Der Plan live 1980 Foto: R.G.Gleim

Demokratisch klingt diese Platte für mich, als ob jetzt, älter und weiser, die Egos beiseite gelegt und die Energie ausschließlich für das gute Ergebnis genutzt wurde. Moritz Rrr stimmt dem zu und konkretisiert den Arbeitsprozess 2017: „Ich hatte viele Texte, einige Melodien, Frank viele halbfertige Skizzen und Kurt ein paar fast fertige Stücke. Wir haben das dann zusammen produziert, Texte verändert, Texte auf Skizzen der Anderen angelegt etc. Früher haben wir eher so Jam-Sesions gespielt, ausgewertet und nachträglich Texte drauf gelegt, die oft spontan entstanden. Insofern (ist das) jetzt richtiges Song-Writing.“

Ich finde ja gute Songs bzw. Pop-Songs hatte der Plan schon immer, und das dürfte auch Moritz Reichelt klar sein, trotzdem glaub ich zu wissen, was er meint.

Wo der Opener der Platte einen Vorschlag macht, führen „ES HEISST: DIE SONNE“ und „WIE SCHWARZ IST EIN RABE?“ die Idee zu Ende: Wunderschön, im (beinahe-)Falsett besingen Fenstermacher und Reichelt, ein kleines poetisches Erklärstück für Kinder bzw. ein Bisschen Schlaumeierei, in dem mit Kinderscharfsinn konsequent geflügelte Worte der deutschen Sprache hinterfragt werden — auf sympathisch naive Weise. Gänsehaut ist ja immer so ein Clichée-Wort, aber da, wo das Xylophon einsetzt, hatte ich wirklich welche. Hier wird sonnenklar, dass bei den Kind-gebliebenen von einst, die nun selbst Kinder haben, eine gewisse Güte Einzug gehalten hat, die nicht völlig untypisch für den Plan ist, jedoch einen erstaunlichen und neuen Farbton zur Palette hinzufügt.

„STILLE HÖREN“ könnte so auch ein Stück aus den Anfangstagen sein – es würde mich nicht unbedingt wundern, wenn dieses unterhaltsame Kleinod, damals nicht verwirklicht, augenzwinkernd in die 2017er Platte hinein geschummelt wurde. Sei es so oder auch nicht… witzig ist aber gerade, dass dieses Stück genauso gut auf einer Plan Platte von 1980/81 funktioniert hätte, wie es das auf dieser aktuellen Scheibe tut. Gewissermaßen schliesst sich hier ein Kreis bzw. ein Dreieck auf tolle Weise und die Platte ist immer noch nicht fertig. Apropos Kleinode: „ZU BESUCH BEI N: SENADA“ bringt dann mutig das Residents Zitat, das man früher, konfrontiert mit ewigen Vergleichen, vielleicht eher vermieden hätte. Heute fügt ein verstimmtes Klavier vor Vogel-Kulisse (Exotica oder Schwarzwald?) eine witzige Referenz an die Ur-Geistesverwandten ein, die ja auch eine neue, ziemlich gute Platte veröffentlicht haben. (Dann warten wir jetzt noch auf Dorau, der angeblich Großes vor hat…)

„WAS KOSTET DER AUSTRITT“ bricht noch einmal Tagespolitisches auf ein abstraktes Gleichnis herunter – kein aggressives United Kingdom fordert hier Boni ein, sondern ein weicher Protagonist stellt verunsichert Fragen. „COME FLY WITH ME“ mit Gastsängerin Laura Carleton wird plötzlich noch einmal höchst psychedelisch. Dieses Stück hätte ich locker auch als White Noise Coversong durchgehen lassen. Hier höre ich die Verschmelzung der Geschlechter: Die männliche und weibliche Gesangsstimme sind zunächst kaum voneinander zu unterscheiden. Durchaus les- und vorstellbar als Plädoyer für eine freiere Auffassung, traditioneller Rollenverständnisse von Mann und Frau – und dem aufmerksamen Beobachter von kulturellen Äusserungen vom Plan und seiner Mitglieder nicht unbedingt ein fremdes Konzept. Zum Schluss wandert der Blick nach oben zu den Sternen – ein klassisches Plan-Sujet, das aber gerne sein darf. Nach all den schön schrägen Space-Songs aus früheren Jahren, kommt mir das große Finale äußerst elegant vor: Geduldig pluckert „DIE HÄNDE DES ASTRONAUTEN“ durch’s Weltall und zaubert mir dabei eine kubistische Träne aus dem Knopfloch:

„…Ein Baby liegt im Bauch, wie ein Kosmonaut, in seinem Mutterschiff, auf sein Ziel vertraut…“

Ich höre einen sehr vertrauten, gleichzeitig völlig neuen Plan: Surrelaistisch/kubistisch wie eh und jeh, frisch und aktuell, verspielt und besorgt, crisp und lecker und herrlich entspannt. Zudem: Ziemlich politisch und zuweilen psychedelisch, kindlich, magisch und poetisch, privat, kosmisch und demokratisch, deutsch (wenn es das gibt) und immer noch europäisch… Eigentlich ist alles drin, was reingehört und die Band ausmacht und klingt doch so gar nicht nach einem Aufguss, sondern total modern. Moritz erklärt wie das Gestern und das Heute sich beim Plan ganz natürlich miteinander verbunden haben: „Die Musik, die wir machen, hat schon immer das widergespiegelt, was wir selbst gern hören. Und das hat sich im Laufe der Zeit einfach geändert… es gab ja nicht nur die ganzen neuen Musikrichtungen, sondern jeder von uns hat auch Musik aus der Vergangenheit für sich entdeckt. Und da waren bei mir halt auch Sachen dabei, wie Lee Hazlewood, Easy Listening, Western Swing, Country etc.“

So menschlich und rührend hat man diese Band noch nicht gehört. Es scheint mir augenscheinlich, dass die drei Komponenten Reichelt/Fenstermacher/Dahlke (Rot, Grün, Blau) ein ausgezeichnetes, relevantes und erhabenes Plan-Produkt 2017 herzustellen im Stande waren – vielleicht genau zur richtigen Zeit. Ich kann nicht ganz sagen, warum mich dieser Umstand so ausgesprochen glücklich macht und hoffe eigentlich, dass es jetzt nicht noch einmal 25 Jahre dauert, bis zur übernächsten Plan Veröffentlichung. Ob das dann eine Doppel-7“, eine Kassette, eine Flexi in einem japanischen Fanzine oder eine digitale EP sein wird, ist mir dabei egal. Vielleicht erhält die ja dann das Prädikat „Meisterwerk“ – dies möchte ich „UNKAPITULIERBAR“ diesmal noch vorenthalten – dafür haben sie mich (und Euch) zu lange warten lassen.

Leute, kauft diese Ohrwurm-Platte! Die limitierte Collectors Edition kommt in farbigen Vinyl, mit CD, Bonus 7“ und einem ganzen Set von Moritz Rrr-Drucken 😉

(There would be no Plan review without Julia & Romy!)


Info:

Format: LP/CD

Label: Tapete Records

Band Website: http://gerireig.blogspot.de

Label Website: www.tapeterecords.com

„Unkapitulierbar“ erscheint am 23. Juni 2017


Autor:

Helge Wagner, Jahrgang 1970, 2,80 m, dunkelbraune Haare, grasgrüne Augen, leicht korpulent, lebt mit Freundin und kleinem Kind in Wiesbaden. Er war Sänger und Gitarrist der Gruppe Skinny Norris aus Gießen, wo er 1984 auch von der Existenz des Plans erfuhr. Heute nimmt er weniger die Gitarre, als verstärkt Schere und Prittstift zur Hand. Anfällig für Dadaismus war er wohl seit seiner Geburt – lange, ohne es zu merken…

 

Polytox Redaktion
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