
Dritte Wahl haben ein neues Album veröffentlicht und Taube hat es sich angehört.
Eine verrückte Welt: Deutschpunk-Konzerte muss man mit der Lupe suchen – „schwierige“ Jugendliche finden heute zumeist ihre Heimat in anderen Subkulturen – gleichzeitig landen so manche Helden aus den 90ern Chartplatzierungen, füllen mittelgroße Hallen und haben hochprofessionelle Videos. Möchte der kleine Rotzlöffelpunk in mir noch „Scheiß Kommerz, wo da is´auf der Welt!“ rufen und alles anzünden, wird mir gleichzeitig klar, dass das natürlich tausendmal besser ist als Freiwild und Krawallbrüder an gleicher Stelle, und wie sehr ich Dritte Wahl selbigen Erfolg gönne, Gleiches gilt für den Umstand, dass sie wahrscheinlich von der Musik leben können.
Ich bin kein Riesenfan, da für meinen persönlichen Geschmack die Gitarren immer etwas zu schwer waren, habe die Band aber schon bestimmt ein Dutzend Mal gesehen und kann das Live-Erlebnis als grundsolide bezeichnen: Gute Musiker an allen Positionen, die wissen, was man auf der Bühne so veranstalten muss, damit das Publikum seinen Spaß hat. Nicht nur ich, sondern viele andere auch, werden das bestätigen können, denn die Band hat sich immer den Arsch abgetourt, blieb dabei aber auch hinter der Bühne stets vollkommen korrekt, ohne sich irgendwelchen Allüren hinzugeben. Sie sind wohl die Arbeiter des Punks. Kurzum: Wer 7.000 Konzerte im Jahr spielt und kein Arschloch ist, soll auch seine Rechnungen davon bezahlen können und darf auch mal in den Urlaub fahren (dieser muss dann aber von der ortsansässigen APPD-Krebszelle genehmigt werden).
Nach meinem langen Intro höre ich jetzt selbiges von dem 10. Studioalbum der Band. Hier versucht man klassische Gitarrenlinien, welche man aus alten Western kennt, mit Punkrock zu paaren. Wenn man diesem Sound eine Chance gibt, hat dies nach mehrmaligem Hören durchaus etwas für sich und das Hirn verlangt nach diesen einzeln angespielten Tönen. Man kennt dies auch von den neuen Sachen von Bela B, hier ist aber das Tempo ordentlicher und man verzichtet nicht auf das Gain in den Gitarren. Ihr findet den Song hier auch als Video. War ich am Anfang skeptisch, ist es jetzt sogar für mich der beste Song der Platte. Ich hätte den Track nur nicht gleich an den Anfang gesetzt, da ich hier „Auf die Fresse-Stücke“ bevorzuge. Dafür geht es aber gleich bei der zweiten
Nummer in die gewünschte Richtung: Harte Gitarren, eingerahmt von jetzt zügigem Tempo inklusive inhaltlich klarer Ansagen sind Programm. Textlich hatten Dritte Wahl schon immer das Herz am richtigen Fleck und auch ein gutes Händchen im Spagat zwischen Parole und Lyrik. Dies bestätigt auch ihr aktuelles Werk voll und ganz, was sicherlich nach fast 30 Jahren Bandgeschichte auch nicht unbedingt einfacher wird.
Natürlich gibt es auf 10 auch so manchen Song, der sehr nach Metall klingt und dieses dazugehörige verdammte Midtempo. Für mich ein echter Abturner, die
Fans wird es sicher freuen, ist es bestimmt auch genau das, was sie von der Band erwarten – ich hingegen bin nicht mit dem Teufel im Bunde und werde mir bei späterem Hören die Punkrockperlen herauspicken. Gleichzeitig finde ich aber die Kontinuität dieses musikalischen Schaffens schön, welche für die Band eine Weiterentwicklung aber nicht ausschließt. Mittlerweile ist Dritte Wahl mit Keyboarder unterwegs und das finde ich für mich selbst überraschend stark.
Manch andere Band greift mittlerweile auch auf dieses Instrument zurück und schafft es damit, zumindest bei meinen Gehörgängen, richtig auf die Nerven zu gehen und die eigentlich schönen Punkrocknummern regelrecht zu zerstören. Dieses neue Bandmitglied hingegen (Ich glaube, er ist schon ein paar Jahre dabei, aber hey… kennt ihr schon dieses neue Ding: Kwick!) platziert das Keyboard sparsam aber effektiv, und schafft es so an den richtigen Stellen Akzente zu setzen. Die Nummern wirken wie aus einem Guss und nicht nach fertigen Songs, über die der Tastenmann nochmal irgendetwas drüber dudeln soll. Erklärt mal euren KollegInnen wie das funktioniert – bitte!
Fans werden diese Platte großartig finden, ich sage sie ist ordentlich – vor allem handwerklich (eben die Arbeiter des Punk) – die Wahrheit liegt vielleicht dazwischen. In jedem Fall freue ich mich darüber, dass die Band sich treu bleibt, keinen musikalischen Scheiß raus haut, um ein paar Euronen zu verdienen, und dass sie nach wie vor live so präsent sind.
Info
Format: CD, LP + Download
Label: Dritte Wahl Records
Band Website: www.dritte-wahl.de
Label Website: www.facebook.com/Dritte-Wahl- Records-1694064744147046/
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