Leipzig ist auch in Australien zu finden!

Götz Widmann live am 16.01.2019 in Leipzig /Moritzbastei

Mittwochabend, ein Konzert, ein Mann, eine Gitarre und vor allem ein fünfminütiger Fußweg zum Auftrittsort. Herz was willst du mehr? Ach ja, wie wäre es noch mit einem Treffen mit dem Hauptprotagonisten des Abends. Es war angerichtet und am 16. Januar auch endlich soweit. Götz Widmann (bis zum Jahr 2000 im Duo Joint Venture unterwegs, aufgrund des tragischen Todes seines Bandkollegen Martin „Kleinti“ Simon kam es zur Auflösung dieser genialen Combo. Danach ging es Solo für Götz weiter) hatte geladen, ihm auf eine „Zeitreise“, durch 25 Jahre Bühnenprogramm zu folgen.

Na klar, da musste ich hin. Also ging es zum verabredeteten Zeitpunkt in Richtung „Moritzbastei“, um Herrn Widmann interviewen zu können. Angekommen, hieß es auch erstmal warten, da der Mann des Abends noch nicht Vorort war. Ja, ich mag sie selbst nicht, diese eigens antrainierte Pünktlichkeit. Egal erstmal ein Getränk gegönnt und unter anderem das familiäre Verhältnis der Merchandiser und Orga-Leute beobachtet. Echt schön zu sehen, wie in dieser schnelllebigen und herzlosen Zeit, noch so viel Ruhe und familiärer Flair verbreitet wird.

Nach keiner Ahnung wieviel Minuten kam er dann und es war als hätte ich grad einen Menschen vor mir stehen, den ich schon ein paar Jahre kenne. Wahnsinn. Ich wurde gleich zum persönlichen Gast auserkoren und ab ging es in die Backstageräume. Bevor wir mit dem Interview starten konnten, musste Götz noch schnell den Soundcheck erledigen. Und schnell war gar kein Ausdruck. Kurzes Gitarren anspielen, Ansage, dass das reicht und dann kamen wir auch zu unserem Gespräch. Jetzt folgend kommen ein paar Fragen, die ich ihm gestellt habe, und die er wirklich vollkommen entspannt (und nein es wurde keine Sportzigarette rumgereicht, zumindest nicht bei uns beiden 😉 ) beantwortete.

Hallo Götz und mal wieder herzlich willkommen in Leipzig. Wir schreiben heute Tag 2 Deiner Auftritte, hier in der Moritzbastei und deshalb erst einmal die Frage – wie geht es Dir heut und wie verlief der gestrige Auftritt für Dich?

Der gestrige Auftritt war sehr schön und ich wollte eigentlich gestern ganz früh, brav ins Bett gehen, weil ich ein bisschen die Tour in den Knochen habe, aber als ich von der Bühne gekommen bin, hab ich auf einmal gute Laune verspürt und dank der anwesenden netten Leute wurde es dann doch wieder 7 Uhr morgens. Jetzt habe ich den ganzen Tag geschlafen und bin wieder einigermaßen fit.

Götz Widmann in Lebensgröße: Er war eine Hälfte von Joint Venture. Nach dem überraschenden Ende des Kult-Duos, machte er solo unter eigenem Namen weiter und steht bis heute auf den Bühnen dieser Republik.

Da hattet ihr ja einen sehr gelungenen ersten Abend bzw. Nacht.

Aufgrund der aktuellen Ereignisse [Anmerkung Redaktion : „Black Triangle Leipzig“ (linkes Hausprojekt) wurde am Tag 1 des Konzertes von der Polizei geräumt und am Tag des Interviews fand eine Demo statt] will ich von Dir gern  wissen, was ist Deine Haltung zur Kultur der Freiräume und wie würdest Du Deinen eigenen verteidigen?

Ich seh, dass manche Leute in Leipzig das echt gut machen. Ein Freund von mir hat gerade mit einer Genossenschaft  sein eigenes Haus gekauft, in dem er wohnt. Auch hier kam es zu Klagen. Das ist ein weltweites Problem, nicht nur in Deutschland, überall, durch die ganze Niedrigzinspolitik. Alle Spekulation und alle Gier ist in den Immobilienmarkt gedrückt wurden, weil es das einzige ist, womit man überhaupt noch Profit machen kann, und dadurch haben wir eine vollkommen unmenschliche Mietpreisentwicklung gehabt in den letzten Jahren. Das ist pervers. Es ist auf jeden Fall schwierig etwas dagegen zu machen.

Viele Menschen leben in Wohnungen, die Ihnen eigentlich zu klein sind, und können nicht in eine größere wechseln, weil sie dann das doppelte zahlen müssen. Im Idealfall erhält man wenigstens eine Abfindung, wenn man ausziehen muss. Deswegen ist eigentlich gut wenn die Leute es verteidigen. Das wird die weltweite Entwicklung nicht aufhalten, aber ein wenig verlangsamen. Jede Aktion die das verlangsamt, ist eine Aktion die ich begrüße.

Mehr kann ich zu dieser Thematik auch nicht sagen, absolut richtig, und die Menschen sollten nie aufhören, für Ihre Werte einzustehen.

Die nächste Frage bezieht sich nochmals auf die Stadt Leipzig – Du und diese Stadt, das ist schon eine besondere Beziehung – besuchst Du die Stadt nur an Konzerttagen oder auch gern mal in „privaten“ Momenten? Und hast Du einen Lieblingsplatz bzw. -fleck wo Du Dich gern aufhältst?

Ich liebe Leipzig. Sie gehört für mich zu den Top-3-Städten in Deutschland. Bei mir ist es ist so, dass ich versuche, wenn ich hier in der Gegend auftrete, auch in Leipzig zu übernachten, weil ich es hier absolut genieße. Ich liebe es die Karli (Anmerkung Redaktion: Karl Liebknecht Straße bekannte Kneipen- , Szene – und Clubstraße) rauf und runter zu laufen, ich mag die Atmosphäre. Ich komm auch schon recht lange hierher, kenne auch noch ein ganz anderes Leipzig und finde es recht spannend wie sich vieles verändert, allerdings nicht alles zum Guten, keineswegs.

Kunst an der Wand des Backstageraums

Als Lieblingsfleck würde ich die Karli bezeichnen. So stelle ich mir eine ideale Stadt vor. Lustigerweise hab ich das in Melbourne, in Australien, auch gehabt, eine Straße die mich total an die Karli erinnert hat. Ich dachte, ich wär in Leipzig  (verträumt guckend).

Einmal ans andere Ende der Erdkugel und dann trotzdem wieder auf der Karli landen, nicht schlecht.

Kommen wir nun zu deinem aktuellen Programm, welches den Namen „Zeitreise“ trägt und sich auf 25 Jahre Bühnenerfahrung, sowie 15 Jahre „Drogen“-Album bezieht. Was hat sich in dieser Zeitspanne grundlegend in der Kommunikation und Organisation mit Veranstaltern ver- bzw. geändert?

Ach gar nicht so viel. Wie jetzt hier in der Moritzbastei arbeite ich seit  20 Jahren sehr oft mit den gleichen Leuten zusammen. Viele Clubs, in denen ich spiele, hab ich schon mit Joint Venture, in den Neunzigern, bespielt. Deshalb find ich es bemerkenswert, dass sich so wenig geändert hat. In der Zeit sind so viele künstlerische Acts gekommen und gegangen. Ich find es immer noch wie ein Wunder, dass ich auf einem Niveau arbeiten darf. Das find ich besonders, diese Kontinuität. Und ich merke es im Moment, mit dem Programm aus alten Songs. Ich spiele ja fast nur Lieder aus dem alten Jahrtausend und das ist für mich tatsächlich  eine Zeitreise. Ich bin grad sehr romantisiert und laufe mit sehr offenen Augen und schönen Erinnerungen durch die Gegend. Mehr als sonst, das merke ich schon.

Allerdings will ich unbedingt im Sommer ein neues Album und ab Herbst dann auch ein neues Programm machen, mit einer guten Mischung aus alten und neuen Songs. Bekomme ich auch immer mehr Bock drauf. Es erfrischt alles, wie es grad läuft.

Gab es in den vergangenen 25 Jahren bei deinem Konzertbesuchern irgendwann einen Schnitt zwischen altem und neuem Publikum?

Ich finde es interessant, dass immer wieder frisches, junges Publikum gekommen ist. Das ist überhaupt nicht selbstverständlich. Ich hab echt ein, für meine Verhältnisse, sehr junges Publikum. Ich bin so oft der Älteste im Saal, das ist voll krass. Ich finde das schön, allerdings fände ich es auch schön, wenn die Leute die vor 15 oder 20 Jahren bei meinen Konzerten mal waren, mal wieder gucken kommen würden und sehen würden, dass es immer noch Spaß macht. Wäre schön und das dürfte schon ein bisschen mehr sein, finde ich. Andererseits in junges Publikum zu haben ist auch immer wieder was tolles, weil es einen auch erfrischt.

In den vergangenen zweieinhalb Jahrzehnten hast Du Dir mit verschiedensten Künstlern die Bühne geteilt, doch mit wenigen bist du eine Kooperation eingegangen – zu einem deiner Gastspiele meine Frage – weshalb tatest Du Dich mit dem James Blast Orchester (J.B.O.) zusammen?

Das war einfach logisch. Wir waren damals beim gleichen Label und haben dann bei einem Festival zusammen gespielt. Was auch erstaunlich gut geklappt hatte, obwohl wir ein ganz anderes Publikum als J.B.O. hatten. Dann haben die Jungs uns mitgenommen als Support auf ihre Tour und uns sehr unterstützt, wodurch wir neues Publikum gewonnen haben. Dafür werde ich den Jungs immer dankbar sein.Und als mein Partner gestorben war und ich alllein weitergemacht habe, haben sie mich auch noch jahrelang mitgenommen. Dadurch konnte ich einfach zeigen, dass es mich noch gibt. Das hat auch geholfen, Leute auf meine Konzerte zu bringen. Ich kann es den Jungs vielleicht nie so richtig zurückgeben, was sie mir gegeben haben, aber ich versuche es an andere junge Leute weiterzugeben.


Markus Sommer hinterließ Eindruck, bei seinem Auftritt im Vorprogramm.

Unweigerlich kommt man, wenn es um eine Zeitreise geht, an dem Thema „Kleinti“ nicht vorbei. Um das nicht zu sehr aufzuwühlen, will ich nur wissen ob Du an seinem Geburtstag und/oder an seinem Todestag ein bestimmtes Ritual pflegst?

Ich denke nicht an bestimmten Tagen an ihn. Ich war erst vor zwei Wochen, als ich von Tour aus in Bonn war, an seinem Grab. Ich denke jeden Abend an ihn. Ich spiele ja auch immer seine Songs. Auf die Art und Weise ist einfach noch sehr viel von ihm da.

Die Erinnerung wird nie sterben und dank seiner Lieder wird er immer präsent sein. Du hast ja auch miterleben dürfen, wie sehr sich das Musikgeschäft verändert und vor allem fortbewegt hat. Glaubst Du, das erschwert es Künstlern, ihren Verdienst durch Musik zu bestreiten, und glaubst Du, dass jetzt das Ende der sogenannten Fahnenstange erreicht ist?

Wenn man sich die vergangenen zehn Jahre anguckt und gesehen hat, was da alles gekommen ist, wäre es vermessen zu behaupten, da wäre das Ende der Fahnenstange schon erreicht.

Es ist schwieriger geworden mit konservierter Musik, also mit Tonträgern, Geld zu verdienen. Da ist allen schaffenden Musikern eine Einkommensquelle weggebrochen. Das wird auch nicht durch Spotify & co ausgeglichen, nicht im geringsten. Das heißt für uns schaffene Musiker, dass wir viel live spielen müssen, um unsere Miete bezahlen zu können. Allerdings, da ich schon immer gerne und viel live gespielt habe, ist es für mich nicht die totale Umstellung, wie es für manch andere ist. Früher hat man eine Tour gemacht, um ein Album promoten, heute macht man ein Album, um eine Tour zu promoten.

Dafür ist auf der anderen Seite das Produzieren leichter und billiger geworden. Man kann viel mehr zu Hause machen und trotzdem auf einem sehr hohen Niveau produzieren. Das ist wieder ein Vorteil der ganzen Sache. Die Entwicklung hat auch vieles leichter gemacht, wie zum Beispiel die Verbreitung. Wenn ich jetzt rausgehe und die Leute frage „Woher habt ihr mich kennengelernt?“, dann haben sie mich entweder durch illegales kopieren oder durch irgendwas im Internet kennengelernt.

Da wir von Polytox uns ja auch im subkulturellen Raum des Punks bewegen, ist es auf jeden Fall interessant mal zu erfahren, ob es eine Punkcombo gibt mit der du dir vorstellen kannst einen Zusammenarbeit einzugehen?

Ich bin sogar total Punk affin und spiele dauernd auf irgendwelchen Punkfestivals. Ich bin total froh, dass ich der einzige Typ bin, der sich mit einer akustischen Gitarre hinstellen und auch mitrocken darf. Das nehme ich als großes Privileg war. Und ich könnt mir mit jeder Punkband vorstellen zusammen zu arbeiten, wenn die einigermaßen all Ihre Gitarren halten können. (schmunzelt) Ich arbeite tatsächlich mit dem Vito von J.B.O. zusammen. Immer wenn ich ein Album aufnehme, drischt er mir da auch für zwei Songs, auf einer richtig schönen asozialen, verzehrten Gitarre rein. Ich mag es auch gern, wenn mein eigenes Zeug punkig klingt. Ich glaub auf meiner aktuellen Platte sind mindestens zwei Punknummern drauf. Bei mir ist es halt mehr akustisch.

Ende gut, alles gut.

Zum Schluss nenne mir bitte noch deine Top-5 an Punkbands.

Gute Frage. Es werden immer The Clash und  Sex Pistols dabei sein. Ich bin nicht so ein riesengroßer Ärztefan, irgendwie komm ich mit dem Humor nicht so ganz klar. Ich kenn die trotzdem gut, weil meine Freundin Die Ärzte total liebt. Ist Knorkator eine Punkband?

…Zumindest spielen sie auf Punkfestivals und deren Verhalten bezeichnet man weitläufig als Punk

Knorkator find ich total geil. Sowas ist auch Punk. Sonst würde ich großartig keine mehr erwähnen. (nach einer kurzen Pause) Die Kassierer.

Götz ich danke dir für das Interview und wünsche dir heute noch einen wunderbaren Konzertabend.

Einen kurzen Konzertbericht will ich euch auch noch geben. Nachdem wir das Interview beendet hatten, kam ich mit den Menschen im Backstage ins Gespräch über Musik, Punk, das Tagesgeschehen, Fußball und irgendwie wären wir irgendwann auch noch bis zum Inhalt unserer Kühlschränke gegangen, aber dann wollte ich doch Herrn Widmann beim arbeiten zu schauen und seiner musikalischen Darbietung lauschen. Also hieß es hinein in den gemütlichen Konzertsaal zu den 400 anderen bekiff… äääh begeisterten Anhängern der wohligen Töne und großartigen Texte.

Das Programm hieß „Zeitreise“ und die gab es auch. Kein Abend wie der andere. Zu Teilen agierte Götz auf Zuruf, zwei Lieder auf E-Mail Wunsch (Wünsche eines Besucher, welcher am ersten Abend und am zweiten Abend Vorort war) und auch aus freien eigenen Entscheidungen.

Die Mischung war einfach grandios. Ich weiß gar nicht so recht, ob es überhaupt ein Lied gab, was ich vermisst habe?!? Sie kamen einfach alle, also alle Hits, ob aus Joint Venture-Zeiten oder seinen Soloplatten. „Hank starb an ner Überdosis Hasch“ , „Die Zaubersteuer“, „Eduard, der Haschischhund“, „Tach, Herr Chef“, „Ich liebe mich“, „Die zwei Trauben“, „Chronik meines Alkoholismus“, „Recht auf Arbeitslosigkeit“ oder auch „Zöllner vom Vollzug abhaltn auf der A4“. Es war einfach ein Traum. Das Publikum war mal nur Zuhörer und an anderer Stelle aktiver Part des Liedes. Mensch Götz, an Dir können sich so manche junge Künstler echt eine Scheibe abschneiden. Auch die Mischung der Besucher war echt angenehm. Neben dem „Vorzeigestudenten“, kam auch der Punk von nebenan, die Menschen, welche schon 15 Jahren hier waren oder auch einfach die, welche gerne mal den sportlicheren Tabak genießen und einfach der Musik ihr Ohr leihen wollten.

Nicht vergessen will ich Markus Sommer, er kam auf die Bühne und spielte drei Lieder die sowohl mich, als auch die Menschen um mich herum, echt fesselten. Merkt euch diesen Namen und kommt er in eure Stadt hin da, es lohnt sich.

Während der Pausen und nach dem Konzert, wurde im Backstage noch weiter über dies und jenes erzählt (ich hab erfahren, das Fuckin Faces einen ihrer letzten Gigs auf dem diesjährigen „Rock am Kuhteich“ haben, hmm… mal schauen, ob die Zeit es zu lässt und ich hingehe ; ) ). Gegen 0.30 Uhr hieß es für mich Abschied nehmen und mit den Bildern und Tönen des Abends glücklich und zufrieden ins Bett fallen.

Vielen Dank Götz Widmann für diese Gastfreundschaft und auch an alle Menschen mit denen ich im Backstage so wunderbare Stunden verleben durfte.

Website von Götz Widmann: www.goetzwidmann.de/

Website der Moritzbastei Leipzig: www.moritzbastei.de/

Eddie Johnson
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