
Ultrarechte Christen verbindet man vor allem mit den USA. Doch auch in Europa wächst eine christliche Rechte heran.
Ultrarechte Christen verbindet man vor allem mit den USA. Dort sorgen Evangelikale dafür, dass in der Politik auch 2016 noch ernsthaft über Themen diskutiert wird wie ein totales Abtreibungsverbot oder die Frage, ob Homosexualität nicht vielleicht doch heilbar sein könnte. Schaut man sich deren Treiben von Deutschland aus an, dann wirkt das wie eine dieser schrägen Ami-Macken, die nichts mit uns zu tun hat. Tatsächlich aber wächst auch in Europa eine religiöse Rechte heran. Die Bewegung vernetzt sich und arbeitet gezielt auf politischen Einfluss in der EU hin – mit Erfolg.
„Die Kinder gehören den Eltern und nicht dem Staat!“, rief der Redner Mathias von Gersdorff den etwa 1.000 Menschen zu, die Ende Oktober in Wiesbaden demonstrierten. Der Protest richtete sich vordergründig gegen den Bildungsplan der Landesregierung, doch für Gersdorff ging es ums Ganze: Man sei auf die Straße gegangen, „damit Deutschland nicht zu einer Gender-Republik wird!“ „Niemals!“, brüllte ein Zuhörer enthusiastisch. Die Veranstaltung wurde von dem christlich-konservativen Netzwerk „Demo für Alle“ organisiert, das bislang vor allem in Stuttgart aktiv war.
Worum geht’s hier überhaupt?
Wenn man es einmal ausbuchstabiert, ist es eigentlich kaum zu fassen: Diese Aktivisten glauben allen Ernstes, dass eine großangelegte Verschwörung hinter den Kulissen der Politik daran arbeitet, die deutsche Gesellschaft umzuerziehen. Ziel des Masterplans sei die Zerstörung der bürgerlichen Kleinfamilie als Lebensform. Um das zu erreichen – so die Verschwörungstheorie – werden bereits Kinder in den Schulen systematisch indoktriniert. Mit Pornografie und Sextoys sollen die armen Kleinen verunsichert und verstört werden. Verantwortlich dafür ist eine mysteriöse „Gender-Lobby“.
So weit, so irre. Wer genau wissen will, wie das alles zusammenhängt, kann es in dem Buch „Die globale sexuelle Revolution“ von Gabriele Kuby nachlesen. Die Bestseller-Autorin ist eine Art Säulenheilige der Szene, ihre Werke werden in viele Sprachen übersetzt. Außerhalb streng religiöser Bibelkreise ist Kuby aber kaum bekannt. Andere Autoren erreichen mit denselben Inhalten ein deutlich breiteres Publikum, etwa die Publizistin Birgit Kelle. Aber auch die neurechte Zeitung „Junge Freiheit“ warnt regelmäßig vor „Gender-Wahnsinn“ und „Frühsexualisierung“.
Tatsächlich wollen Bildungsreformen wie die in Baden-Württemberg unter anderem die Sexualkunde an die gesellschaftliche Wirklichkeit anpassen. Wenn frühere Lehrmaterialien eine Welt zeigten, in der es nur heterosexuelle, weiße Kleinfamilien gab, dann mag das dem Lebensgefühl der miefigen Nachkriegs-BRD entsprochen haben. Heute sehen die Gesellschaft und die Bevölkerung Deutschlands nicht mehr so aus. Die religiöse Rechte jedoch verschließt die Augen vor dem sozialen Wandel. In ihrer grotesken Paranoia-Welt wird aus der Anerkennung von Minderheiten eine „Umerziehung“.
Vater, Mutter, Kind
Die „Demo für Alle“ ist gewissermaßen der aktivistische Flügel dieser Bewegung. Als Chefin und Aushängeschild tritt Hedwig von Beverfoerde in Erscheinung, sie hat auch die Wiesbadener Demo organisiert. In einem propagandistischen Dokumentarfilm, den die „Junge Freiheit“ unter dem knackigen Titel „Porno, Peitsche, Pädophilie“ gratis im Netz veröffentlicht, breitet Beverfoerde ihr Weltbild aus und benennt die ihrer Ansicht nach Verantwortlichen: Pädophile. Die haben zuerst die Grünen unterwandert und dann die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, glaubt sie.
Porno, Peitsche, Pädophilie:
Die heutige religiöse Rechte besteht nicht nur aus frommen Ewiggestrigen, die bei jeder Gelegenheit die Bibel zitieren. Im Gegenteil, die Aktivisten vermeiden sogar theologische Argumentationen. Stattdessen stellen sie sich als Bürgerrechtler dar und nehmen sogar auf wissenschaftliche Studien Bezug. Dass die meistens entweder veraltet sind oder aus dem Kontext gerissen wurden, fällt ja nicht sofort auf. Die Kampagnen verbreiten ihre Inhalte auf professionellen Websites und nutzen Email-Verteiler, um ihre Anhänger zu vernetzen und zu gemeinsamen Aktionen zu mobilisieren.
Besonders viel versprechen sich die rechten Christen aber davon, gezielt und direkt auf politische Entscheidungsträger und Angehörige der gesellschaftlichen Elite einzuwirken. Politiker und Kirchenvertreter, die an Schlüsselpositionen sitzen, etwa in der Bildungspolitik, werden mit Emails und Anrufen überschüttet. So wird ein massives Wählerinteresse an Themen vorgetäuscht, die die Mehrheit eigentlich nicht interessieren. Diese Methode kann durchaus funktionieren, Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle zum Beispiel ließ sich unlängst auf eine Diskussion mit den „Familienschützern“ ein.
Die christliche Rechte vernetzt sich europaweit
Solche lokalen Erfolge werden in christlich-konservativen Medien ebenso gefeiert wie in der „Jungen Freiheit“ und auf neurechten Websites, die ansonsten eher durch Islamfeindlichkeit auffallen, wie „PI-News“. Doch die Aktivisten haben die Messlatte längst höher gesteckt. Aktuell leitet Hedwig von Beverfoerde die deutsche Sektion einer europaweiten Kampagne namens „Mum, Dad and Kids“. Deren Ziel ist es, den Begriff „Familie“ im EU-Recht klar zu definieren: „ein Vater, eine Mutter, und ihre Kinder“. Als „Ehe“ soll nur eine lebenslange Verbindung zwischen Mann und Frau gelten.
Selbstverständlich würde das die rechtliche Gleichstellung homosexueller Partnerschaften erheblich erschweren – und genau das ist ja auch die Idee dahinter. „Mum, Dad and Kids“ versammelt die Crème de la Crème der religiösen Rechten Europas und erhält Unterstützung von christlichen Fundamentalisten aus den USA. Wenn es nach diesen Leuten ginge, sollte ausgerechnet die Verfassung des rechtskonservativ regierten Ungarns Vorbild für die Politik der gesamten Europäischen Union werden. Die Kampagne wird auch von der AfD-Europa-Abgeordneten Beatrix von Storch und ihrem Publikationsnetzwerk „Freie Welt“ unterstützt.
Die christliche Religion spielt in Europa eine weitaus geringere Rolle als in den USA, daher können die straff organisierten Familienschutz-Netzwerke nicht auf die Unterstützung breiter Bevölkerungsteile bauen. Schaut man sich jedoch die Entwicklung in osteuropäischen Ländern wie Ungarn, Polen und nicht zuletzt Russland an, ergibt sich eine andere Möglichkeit. Rechtskonservative Politiker können die Religion nutzen, um ihrer antiliberalen und antidemokratischen Politik einen seriösen Anstrich zu geben. Es mag schräg klingen, weil Themen wie die krude Gender-Paranoia für die meisten Leute irrelevant sind, aber die ultrarechten Netzwerke sehen sich selbst in einem Kulturkampf um die Zukunft Europas. Die aktuelle Schwäche der liberalen Demokratien des Westens und das Erstarken des Rechtspopulismus nähren ihre Hoffnung, dass sie den tatsächlich gewinnen können.
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