
Nietzsche, der oft durch Unwissenheit – leider auch in unseren Kreisen – völlig zu Unrecht in die nationalsozialistische Ecke gedrängt wird, hasste aus tiefstem Herzen Gebilde wie Nation und erst Recht Nationalismus. Eine Gegenrede.
„Gott ist tot! Gott bleibt tot! Und wir haben ihn getötet.“ Ein Satz aus der Feder Friedrich Nietzsches, der so manche Lederjacke ziert, ohne dass der Träger sich wirklich seiner Bedeutung bewusst ist (Hasta la victoria siempre!). Es geht hierbei nicht um die Tötung der physischen Gestalt eines lebendigen Gottes, sondern vielmehr um die Überwindung jeglicher Form angeblich natürlicher Moral und Werte. Fuck auf Kant und seinen kategorischen Imperativ, welcher vielleicht als moralische Handlungsempfehlung für Dreijährige dienen kann: Es lebe der Punk! Viele Ethiker vor und nach Nietzsche zerbrachen sich den Kopf darüber, was gut oder böse sei, und taten so, als gäbe es darauf nur eine universelle Antwort. Nietzsche zerbricht solche Vorstellungen unwiederbringlich. In diesem Text werde ich versuchen, der Moralvorstellung Nietzsches näher zu kommen, um sie euch hoffentlich möglichst unkompliziert zu verdeutlichen.

Da ich die Weisheit nicht mit Löffeln gefressen habe und hier durchaus unterschiedliche Interpretationen möglich sind, möchte ich gerne auf die Kommentarfunktion verweisen und freue mich auf eine Diskussion mit euch. Da ich kein junger, hipper Youtuber bin und nach Klicks giere, ist dieser Satz ernst gemeint und ich bin ehrlich interessiert an einem Diskurs (Ich benutze übrigens den Kajalstift von dm).
Und es gibt Diskussionsbedarf! Nietzsche, der oft durch Unwissenheit – leider auch in unseren Kreisen – völlig zu Unrecht in die nationalsozialistische Ecke gedrängt wird, hasste aus tiefstem Herzen Gebilde wie Nation und erst Recht Nationalismus. Antisemitismus, als Ideologie von Verlierern auf der Suche nach einem Sündenbock, sowie die Vorstellung, in einer Herde sein Dasein zu fristen und einer Autorität zu gehorchen, waren ihm zuwider. Führerkult wäre mit Nietzsche nicht möglich gewesen. Trotzdem besetzten die Nazis die Interpretation seiner Texte. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass seine Schwester, eine überzeugte Nationalsozialisten, sein Erbe verwaltete und sein Werk so kürzte und verfälschte, dass am Ende nur noch die Rede vom Übermenschen war.
Dieser Übermensch ist aber keineswegs eine „höherwertige Rasse“, vielmehr ein Mensch, der sich über die christliche Moral erhebt, sein Leben nicht auf ein zukünftiges Paradies ausrichtet, sich so seiner einmaligen Existenz bewusst ist und nur auf sein eigenes Urteil vertraut. Dies klingt meiner Meinung nach schon sehr nach Punkrock, wobei ich nicht außer Acht lassen möchte, dass Nietzsche auch sehr kompromisslos daraus ableitet, dass jeder selbst verantwortlich ist für sein eigenes Glück und er dem Schwachen im besten Falle Großmütigkeit, aber keine Solidarität zugesteht. Dies klingt dann wohl weniger nach Punk sowie leider auch nicht gerade nach einem leistungsfähigen integrativen Sozialsystem, vielmehr nach der FDP, und entspricht auch nicht meinem Weltbild. Das Gleiche gilt auch für die vielzitierte „Peitsche“, welche nicht gerade darauf hindeutet, dass es sich hier um einen Vorkämpfer der Frauenbewegung handelt. Es gibt nichts zu entschuldigen bspw. mit Verweisen darauf, dass er Kind seiner Zeit sei. Es lohnt dennoch, sich mit den Gedanken Nietzsches auseinander zu setzen, da er mit diesen nicht weniger als das christliche Abendland und seine Werte zerstören will. Angesichts PEGIDA ist dies ja durchaus wünschenswert.
Nietzsche betreibt Philosophie „mit dem Hammer“: Er zertrümmert alles, was ihm in den Weg kommt, so auch die Vorstellung, es gäbe Gut und Böse. Wir Menschen haben diese Begriffe und somit auch die Moral erfunden. Laut Nietzsche dient diese Moral der Religion dazu, Menschen zu unterdrücken und sich von deren Schuldbewusstsein zu ernähren.
„Der asketische Priester hat die seelische Gesundheit verdorben, wo er auch nur zur Herrschaft gekommen ist, er hat folglich auch den Geschmack verdorben in artibus et litteris, – er verdirbt ihn immer noch.“ – Nietzsche, Zur Genealogie der Moral
Um die Entstehungsgeschichte dieses dafür notwendigen Schuldbewusstseins in dem folgenden Gedankenexperiment nach Nietzsche nach zu vollziehen, bedarf es eines vollen Bieres und zwei, drei Zigaretten, will sagen, es ist nicht ganz einfach, aber in sich logisch schlüssig; versprochen! Gedankenexperimente versuchen in der Philosophie etwas herzuleiten, ohne den Anspruch zu haben, dass es wirklich so gewesen ist. Wir legen vorher die Regeln fest, wie bei einem Rollenspiel, und sehen, was passiert. Für dieses Spiel sei festgelegt:
Regel 1 – Der Mensch will überleben.
Regel 2 – Der Mensch ist grausam.
Das Setting – Der Mensch landet auf dem Spielfeld Erde.
Vorhang auf:

Der Mensch entwickelt ein Gewissen, also Schuldbewusstsein. Hierfür benötigt er die Fähigkeit zu versprechen, also Absichtserklärungen bzgl. seines zukünftigen Handelns abzugeben. Warum er das tut? Regel 1 verlangt dies, da nur so die ständige Angst vor dem nächsten Keulenschwung des Nachbarn beherrschbar wird. Bricht der Mensch ein Versprechen, so entsteht Schuld, und der Schuldner wird durch den Gläubiger bestraft. Dies soll das Gleichgewicht wieder herstellen, da das durch die Strafe entstandene Leid den durch das gebrochene Versprechen Benachteiligten entschädigt. Warum Leid die Menschen entschädigt? VKJ sangen „Brot und Spiele“ – der Mensch hat Spaß an der Grausamkeit, also Regel 2. Soweit so gut, aber der Mensch beginnt in Gemeinschaften zu leben und es ist ihm natürlich in diesen nicht möglich, diesen Spaß tatsächlich auszuleben. Warum lebt er in der Gemeinschaft? Im Gegenzug für seinen Verzicht auf Grausamkeit erhält er Sicherheit bzw. Schutz seines Lebens, also Regel 1. Der Trieb, grausam zu sein, verschwindet aber nicht. Dem Menschen bleibt nur noch die Möglichkeit, diesen Trieb gegen sich selbst zu richten, will er weiter den Schutz der Gruppe genießen. Rasiermesser sind nicht zu Hand und jegliche physische Betätigung in dieser Richtung widerspräche seinem Selbsterhaltungstrieb, somit ist er gegen sich selbst psychisch grausam. Voila – das schlechte Gewissen ist geboren. Diese Grausamkeit gegen sich selbst bereitet ihm Lust, da es seinen Trieb befriedigt. Gleichzeitig verursacht die Lust an der Grausamkeit ein schlechtes Gewissen, da er ja der Gemeinschaft versprochen hatte auf Grausamkeit zu verzichten. Das Mittel ist gleichzeitig der Zweck: Der Mensch leidet, um grausam sein zu können – daraus entsteht Leid – die paradoxe Wasserstoffbombe explodiert!
Nietzsche möchte damit zeigen, dass wir Menschen nur ein schlechtes Gewissen haben, da wir in der Gemeinschaft leben. Das eine bedingt das andere und es handelt sich hierbei nicht um einen natürlichen Sachverhalt.
Warum so viel Aufwand, um zu beweisen, dass wir Menschen die Erfinder des schlechten Gewissens sind? Diese Emotion ist die Grundvoraussetzung für eine Vorstellung von Gott. Wenn wir die Emotion erfunden haben, haben wir auch Gott erfunden und können ihn auch wieder überwinden, das heißt töten. Gott ist das personifizierte schlechte Gewissen. In der christlichen Theologie ist Gott allmächtig. Diese unendliche Macht nutzt Gott, um Menschen zu helfen. Er opfert sogar seinen eigenen Sohn für die Erbsünde, also begleicht er unsere Schuld durch das nicht gehaltene Versprechen des Menschen, nicht vom Baum der Erkenntnis zu naschen (Danke Eva). Die dadurch entstandene Schuld ist unendlich und kann nie von den Menschen beglichen werden. Die Moral hat in diesem Moment das Licht der Welt erblickt: Unendliche Schuld bedeutet unendliches Leid, also auch maximale Grausamkeit gegen sich selbst, ergo maximale Lust. Diese maximale Grausamkeit/Lust begründet den Erfolg des Christentums.
„Schon klagt man nicht mehr gegen den Schmerz, man lechzte nach dem Schmerz; mehr Schmerz! Mehr Schmerz!“ – Nietzsche, Zur Genealogie der Moral
Jede Religion bietet einen vermeintlichen Sinn des Lebens und der Mensch giert danach: Er kann es nicht ertragen, dass sein Leben sinnlos, austauschbar und irrelevant ist. So greift er nach jedem absurden Strohalm, welchen der Hütchenspieler Religion, oft aber auch Staat und Gesellschaft, präsentiert. Religion bietet hier oft Enthaltsamkeit als sinnstiftend an. Seid also immer schön brav. Nietzsche nennt dies „asketische Ideale“, welche angeblich auf direktem Weg ins Paradies führen sollen; dort sind dann auch alle immer schön brav bis in alle Ewigkeit. A never ending story. Erneut sieht hier Nietzsche ein Paradoxon: Enthaltsamkeit kann kein Sinn bzw. kein Ziel sein, da es ein Zustand ist und Zustände können aufgrund ihres Wesens niemals endgültig sein. Ein Zustand, bspw. die feste Beschaffenheit des gefrorenen Wassers, ist jederzeit veränderbar – in diesem Beispiel ist dies recht einfach mit einem Feuerzeug möglich. Der Hamster im Rad wird also nie sein Ziel erreichen. Somit ist der Weg das Ziel. Das mag schön klingen, wenn man auf Sprüche aus dem Jahreskalender und Henna-Tattoos steht, logisch ist es aber nicht. Nietzsche ist hier regelrecht angewidert und seine Sprache ist so klar und deutlich, wie man es nur selten in der Philosophie vorfindet. Dies empfinde ich als sehr angenehm, da oft Philosophen ihre oft banalen Gedanken durch komplizierte Sprache verschleiern (Fuck Heidegger – die alte Nazisau!).
Wir halten fest: Gott, also die Moral, sind Erfindungen und damit nicht existent. Das Leben ist sinnlos. Dies ist auch gut so, da es Freiheit bedeutet. Heute Spaß und morgen tot. Dieser Erkenntnisgewinn bedeutet, Gott zu töten. Solltet ihr diesen mit mir teilen, haben wir Gott gerade gemeinsam getötet. Keine Sorge, er musste nicht leiden.
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