
Die Radierer aus Limburg gehören zu den Pionieren des deutschen Punks. Jetzt ist mit „PUNK!PEST!POP!“ eine tolle 4er-CD-Box erschienen, die die ersten drei Alben samt Bonusmaterial der Limburger enthält. Wir haben das zum Anlass genommen den Originalmitgliedern Juergen und CB ein paar Fragen zu ihrer Band zu stellen.
Wer wie ich die Anfangstage des Punks nicht miterlebt hat, schaut manchmal mit leicht verklärendem Blick in Punkrockgeschichtsbücher. Wer sich noch selbst an die aufregende Zeit erinnert, in der man Punk entdeckte, die ersten Konzerte besuchte und die Szene kennengelernte, wird das vielleicht nachvollziehen können. Man lernte schon etwas Bestehendes kennen und es war aufregender als alles andere, was man bis dato kannte. Wie geil muss es gewesen sein, Punk kennenzulernen, als dieser noch im entstehen war? Ich stelle es mir sehr geil vor. Ob es dadurch früher automatisch besser war? Keine Ahnung. Ich war ja nicht dabei. Aber es war freier. Bands wurden nicht sofort in enge Schubladen wie Deutschpunk, 77er Punk, Crust-Punk, HC-Punk, Pop-Punk, Powerpop, Streetpunk, Anarachopunk oder intelligenter deutschsprachiger Punk gesteckt, weil: es gab diese Schubladen nicht. Es gab nur eine große Kiste und auf der stand „Punk“. Und darin konnte man sich nach gut dünken austoben.
Einer dieser Bands aus den Anfangstagen des Punks in Deutschland waren und sind die Radierer aus Limburg. Limburg, das muss man wissen, ist ein verschlafenes Provinznest. Eine typische Kleinstadt, die Menschen abseits des Mainstreams wenig zu bieten hat. Und Ende der 1970er, Anfang der 1980er noch viel weniger zu bieten hatte. Dazu streng katholisch, schließlich ist die Stadt Bischofssitz. Und in dieser Stadt, in diesem Klima gründeten sich 1978 die Radierer. Und die Band nahm sich die Freiheit, die Punk in jenen Tagen zu bieten hatte, wie man nun ganz ausgezeichnet in der 4er-CD-Compilation „PUNK!PEST!POP! – SAMMELBAND 1978–1984“ nachhören kann. Diese enthält neben den ersten drei Alben der Radierer, „Eisbären & Zitronen“ (1981), „In Hollywood“ (1983) und „Gott und die Welt“ (1984) noch eine weitere CD mit dem Titel „Alles für die Katz“ auf der 21 Singles, Demos und Raritäten zu hören sind.
Straighte Gitarren trafen auf elektronische Beats, billige Keyboards auf Instrumente aus der Spielwarenabteilung, dadaistische Textkonstruktionen konterten provinziellen Teenagefrust, ätzender Humor kollaborierte mit Gags aus MAD – oder Comicheften. Kurzum: „PUNK!PEST!POP! – SAMMELBAND 1978–1984“ macht unglaublich viel Spaß zu hören. Herrliche Musik, die wahrscheinlich nur in dieser kurzen Zeitspanne zwischen Aufbruch und Ausverkauf der Neuen Deutschen Welle möglich war.
Die Geschichte der Radierer ist übrigens noch nicht vorbei. Die Band hat auch in den folgenden Jahren tolle Alben veröffentlicht und ist auch immer wieder live unterwegs. Grund genug, den beiden Originalmitgliedern Juergen und CB einige Fragen zu´stellen.
Limburg ist eine verschlafene Stadt, die vor allem dafür bekannt ist, dass dort ein katholischer Bischof haust. Wie kam der Punk gerade dorthin und wie kamt ihr damit in Berührung?
CB: In Limburg gab es nur Käse, eine beeindruckend große Drogenszene und jede Menge Kleinstadthippies und Spießbürger. Der Punk kam als Zeitungsartikel im New Musical Express nach Limburg oder in Form von Schallplatten aus dem Saturn in Köln. Und über die Autobahn, denn Limburg hat ja bekanntlich zwei Autobahnauffahrten. Wir hatten das Glück, ein paar Punkkonzerte in Amsterdam zu sehen, als wir über die Autobahn dahin getrampt waren. Dann war sofort alles klar.
Die Radierer haben sich, soweit ich weiß, 1978 gegründet. Was für eine Atmosphäre herrschte damals? Was war euer Antrieb eine Band zu gründen?
Juergen : Pure Langeweile – Ödnis – Spaß am Provozieren / Quatsch machen.
CB: Die Langeweile war unerträglich. Und dann kam Punk und jeder konnte mitmachen, der eine Gitarre halten konnte. Da ich hochdeutsch sprechen konnte, war ich ab sofort der Sänger der Band, die am Anfang noch Terry & the Rorists hieß.
Ihr habt dann 1980 eure erste Single “Angriff aufs Schlaraffenland” veröffentlicht. Wie ging es dann weiter? Vielleicht könnt ihr einen Kurzabriss über eure Bandgeschichte geben?
CB: Dann traten wir in allen angesagten Läden in Hamburg, Düsseldorf, Westberlin usw. auf und veröffentlichten unsere erste LP, „Eisbären und Zitronen“. Dann die zweite, „Die Radierer in Hollywood“. Dann die dritte – „Gott & die Welt“ – und gingen damit als Support von The Fall auf Tournee. Und dann war die sogenannte Neue Deutsche Welle auch schon wieder vorbei und niemand wollte mehr deutschsprachige Musik hören. Tragisch.
Punk in Deutschland, zumindest seine Anfänge, sind mittlerweile gut dokumentiert, wenn teils auch lückenhaft. Euren Namen liest man in diesem Zusammenhang allerdings deutlich seltener als von anderen Bands, obwohl ihr früher oder genauso früh am Werk gewesen seid. Stört euch das?
Juergen: nicht wirklich – und oft genug sind wir auch erwähnt oder auf diversen samplern vertreten.
Zwischen eurem dritten und vierten Album liegen elf Jahre Pause. Und zwischen dem vierten und dem fünften Album sogar 14 Jahre. War die Band in dieser Zeit inaktiv? Was habt ihr in der Zwischenzeit gemacht? Wart ihr in anderen Bands aktiv?
CB: Ich war noch bei Korpus Kristi und Blumen ohne Duft und in den 90ern eher Techno und House-mäßig unterwegs.
Ihr spielt ja nicht mehr in Originalbesetzung? Wer ist noch von früher dabei?
Juergen – RADIERER war schon immer eigentlich mehr son 2 mann ding – CB macht nen Text – ich die Musik – und denn haben wir geschaut wer mit uns noch bandmäßig die Gigs bestreitet.
Was für ein Publikum kommt zu euren Konzerten? Bunt gemischt aus jung und alt oder hauptsächlich Leute, die euch schon Ende der 70er, Anfang der 80er erlebt haben?
Juergen – ja schon leute von früher und denn freunde und freundesfreunde
Habt ihr sonst noch Kontakt mit der Punkszene und verfolgt, was so passiert oder hört ihr aktuelle Bands etc.?
Juergen – ja schon auch – aber so reiner Hosen- bierpunksound fing schon früh an uns zu langweilen – sollte halt immer was unerwartetes haben für mich : ich will verwirrt werden und nicht bedient werden mit dem was ich schon lang kenn.
CB: Alte Sau finde ich gut. Aktuelle Bands höre ich mehr so im Vorrübergehen und vergesse dann immer, nach dem Namen zu fragen oder ihn mir zu merken.
Auf eurer Facebookseite steht, dass ihr in Limburg kaum gewürdigt werdet. Hat sich das mittlerweile geändert? Und wenn nicht, was glaubt ihr warum das so ist?
Juergen : in Limburg nimmt man nicht sooo viel notiz von uns – war schon immer so – iss auch okay so.
CB: Ja, schade. Ich finde, man sollte eine Atombombe nach uns benennen, die dann über Limburg abgeworfen wird.
Habt ihr mit der kleinen lokalen Punkszene rund um das Kakadu zu tun?
Juergen : nein -denk denen sind wir nicht Hardcore genug …was immer das ist. Würden aber gern mal vorbeischaun.
CB: Ich war da bestimmt schon seit 10 Jahren nicht mehr.
Da ihr die Anfänge von Punk in Deutschland hautnah miterlebt habt und mittlerweile wieder aktiv seid, kann ich mir die Frage nicht verkneifen: war früher wirklich alles besser?
Juergen : ich würde es beantworten mit : es war früher freier –experimenteller – Mehr mit dem blick in die zukunft – jetzt ist nur noch retro – uns eingeschlossen- Wo ist die inovation? – wo ist das aufbrechen eingefahrener rituale?
CB: Punk ist jetzt 40 Jahre alt und kriegt keinen mehr hoch.
Die Tage erscheint eine fette Anthologie mit allen Songs der ersten drei Alben sowie Demos und SIngles von euch bei Tapete Records. Wie kam es zu der Veröffentlichung und warum gerade jetzt?
Juergen: wenn nicht jetzt, wann denn – kommt noch gerade rechtzeitig denk ich – kam dazu weil ich mir unsere „GOTT UND DIE WELT „ LP angehört hatte und sie prima fand und tapete geschickt habe die dann meinten : ja gut aber dann machen wir den ganzen kram aus der zeit.
Mit Wirtschaftswunder gab es zur selben Zeit eine weitere überregional bekannte Punk/Waveband. Hattet ihr Kontakt zu denen?
Juergen : ich durfte die trommeln bedienen bei WIWU während ich bei RADIERER die gitarre schrammelte- insofern …
Warum glaubt ihr, konnte sich Punk gerade Limburg zu jener Zeit so gut entwickeln?
Juergen: es waren doch die selben 5-7 Leutchen die diverse Formationen bildeten – Denke, das kam weil CB aus Hamburg emigrierte und Tom ( WIWU ) aus der Tschechei.
CB: Weil Limburg so grauenhaft spießig und langweilig war. Konservativ, Katholisch und braun. Das förderte das Rebellentum. Punk war unsere Antwort auf Limburg.
Wie sah die Szene damals aus? Gab es Kontakte zu Bands oder Szenemenschen aus anderen Städten der Region?
CB: Die Limburger Szene war winzig und fast alle sind jetzt tot.
Juergen: ja doch zu den Leuten von DER PLAN oder tourneen mit DAF.
Wie geht es mit der Band nun weiter? Am 13. Mai feiert ihr Releaseparty in Wiesbaden. Und danach?
Juergen : wir haben schon länger an neuem material gearbeitet aber die „PUNK PEST POP“ 4 CD Box kam jetzt dazwischen – denke im sommer werden wir uns wieder dem neuen material widmen.
CB: Vielleicht eine Vinyl-Single oder eine Musikkassette mit neuen Songs. Wir haben ja immer noch ständig neuen Ideen…
Vielen Dank für das Interview!
Format: 4er CD-Box
Label: Tapete Records
Band Website: www.facebook.com/dieradierer
Label Website: www.tapeterecords.de
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