Razzia – Am Rande von Berlin

Leckerer Alter Wein aus alten Schläuchen


Meine Sozialisation zu Razzia beginnt, wie sicher bei zig Anderen mit Kriegszustand, Nacht im Ghetto, Das letzte Stadium und anderen Hits des Debütalbums Tag ohne Schatten. Zugegeben die guten Nachfolgeralben Ausflug mit Franziska und Menschen zu Wasser habe ich nicht so richtig parat. Wahrscheinlich weil mich englischsprachige Bands immer mehr interessierten.

Jedenfalls kann ich mich auch bloß noch dunkel an das Razzia-Konzert im JUZ Mannheim erinnern, dass wir damals veranstaltet haben. Das war im Zuge der Relativ sicher am Strand LP, was 2004 oder 2005 gewesen sein muss. Ob Peter Siegler da überhaupt dabei war, oder ob das Konzert bereits nach seinem unfallbedingten Ausstieg stattfand, kann ich heute gar nicht mehr sagen. Hm, doof. Woran ich mich aber noch erinnere, dass ich das Konzert bloß mit halbem Ohr verfolgte, da es mich weniger ansprach als ich es mir erhoffte.

Beim neuen Album Am Rande von Berlin war ich ebenfalls sehr zurückhaltend als Falk eintütete, dass ich eine CD geschickt bekomme. Denn auch die Rückmeldungen bzgl. der Konzerte in den letzten Jahren waren alles andere als Lobeshymnen. Alleine schon, wenn Männer weit über die Ü50-Grenze ihren Album-Opener Nitro nennen, muss ich erstmal tief durchatmen. Doch was soll ich sagen, das ist ein tatsächlich sehr gutes Intro! Im Folgenden bin ich weiter überrascht, wie gut mir die Lieder sowohl musikalisch als auch inhaltlich gefallen. Ich bin richtig begeistert. Das sind richtig gute Gitarrenmelodien und Sänger Rajas Thiele bringt die von Gitarrist Andreas Siegler geschriebenen Texte hervorragend rüber.

Ein Zeitzeugnis aus den Anfangstagen. 1985 am Flughafen in Hamburg

Gefühlt auch deutlich besser als letzten Sommer, wo ich die Band beim Back To Future gesehen habe. Da mache ich mir also meine Gedanken und komme zu einem ungeheuerlichen Schluss: 2019 ist ja gar nicht 1983 oder 1986. Was ich damit sagen möchte? Na ganz klar. So eine Energie, wie sie Razzia zu Beginn hatten, haben sie heute natürlich nicht mehr. Die Kerle sind schlicht und ergreifend in die Jahre gekommen, da kann man das auch gar nicht mehr erwarten. Aus der Haltung heraus ist Am Rande von Berlin nämlich ein richtig tolles Album. Wie gesagt sind das ganz tolle deutschsprachige Punkrocksongs, die nicht mehr von der Beatabteilung vor sich hergejagt werden. Die noch mehr als zuvor im Fokus stehenden Texte sprechen mir oft aus der Seele.

Am meisten ist das Liebe Grüße aus dem Rowtweingürtel, in dem linksliberalen Gentrifizierungs-Gutmenschen den Spiegel vorgehalten bekommen und ihnen in aller Deutlichkeit gesagt wird, dass sie sich ihre Biobananen nicht in die Haare schmieren, sondern zwei Stockwerke tiefer einführen dürfen. Oder Willst du das wirklich. Hier fordern Razzia Menschen auf die schon oft zitierte Komfortzone zu verlassen, wenn sie etwas ändern wollen. Anstatt bloß zu zetern, könnte da mehr gehen. Inwiefern das überhaupt möglich ist, steht dabei auf einem anderen Blatt. Wichtig ist, sich wenigstens minimal einzubringen und wenn es bloß die Teilnahme an einer Demo ist.

Insgesamt ist Razzias erstes Album in Originalbestezung seit 1991 (!) ein kluges Stück Punkrock im mittleren Tempo, von Typen im mittleren Alter, die mit offenen Augen durchs Leben gehen und dies genau zu beschreiben wissen. So lege ich mir jetzt erstmal selbst die Aufgabe auf mir das Gesamtwerk der Hamburger noch einmal genauer anzuschauen, damit ich sie beim nächsten Konzert von einem anderen Standpunkt heraus anschauen und auf mich wirken lassen kann. Denn mit Am Rande von Berlin ist Razzia ein wirklich hochwertiges Spätwerk gelungen.


Info:

Format: 2x-LP, CD, Digital

Band: Homepage, Facebook

Label: Homepage, Facebook

Bocky
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