Rebellion Festival 2018

Viva The Fuck Off

Bereits seit über einem Jahrzehnt überlege ich das Rebellion Festival in England zu besuchen. Doch bislang gab es einfach zu viele Gründe das nicht zu tun. Zu viele Bands, zu viele Bühnen, Erzählungen nach geduldetes Grauzonen- oder Faschopack und allen voran die hohen Kosten – der Weg zum Flughafen, Flugticket, Zug von Manchester nach Blackpool, Unterkunft, Festivalticket, Zaster vor Ort und dann wieder der Rückweg.

Doch dieses Jahr geht irgendwie kein Weg mehr daran vorbei, nachdem ich letztes Jahr kurzfristig einen Rückzieher machen musste. Ich möchte trotz aller Gegenargumente da mal hin und mir mein eigenes Bild machen. Denn auch wenn es triftige Gründe sind, die dagegen sprechen, so kenne ich viele Punks und Skins mit den verschiedensten Hintergründen, die absolut dafür schwärmen. Also, dann mal hin und die eigenen Eindrücke wirken lassen.

Winter Gardens und der Donnerstag

Auf dem Weg von unserer Unterkunft Springtown Lodge zum Veranstaltungsort Winter Gardens fällt sehr deutlich auf, dass Blackpool sehr englisch ist. Neben dem Baustil, der auf mich sehr klein wirkt, machen die Häuser einen recht runtergewirtschafteten Eindruck. Ebenso wie die Menschen, die in zumeist vier quadratmetergroßen Vorgärten sitzen, die fast alle zubetoniert sind. Bestätigt werde ich in einem Kiosk, in den außer mir am frühen Nachmittag ein junger Erwachsener stolpert, der versucht nicht hinzufallen und in alle Richtungen gleichzeitig schaut. Aber besoffen war der genauso wenig wie dass er von Chamäleons abstammt. Keine Ahnung, was der so alles geballert hat.

Dem Winter Gardens näher kommend, verändert sich das Bild ein wenig. Man merkt, dass man geradewegs auf das Zentrum zusteuert. Nachdem ich verstehe wo der Haupteingang ist, bin ich etwas verwirrt. Denn bei diesem Namen ging ich davon aus, dass sich davor ein großer Platz auftut. Stattdessen befindet er sich am Ende einer T-Kreuzung zwischen dem Warenhaus Marks & Spencer und einer Mall. Die beiden Konsumtempel haben hier den Raum gestohlen, schade eigentlich. Genauso, dass vor der Fassade ein Baugerüst mit Plane steht.

Entschädigt werde ich direkt nach Betreten des Veranstaltungshauses. Alleine im Eingangsbereich des Winter Gardens könnte man ein Konzert mit mehreren hundert Gästen veranstalten. Beeindruckt versuche ich den mehrseitigen DIN-A-5-Plan zu verstehen, den jeder bekommt. Als erstes möchte ich mal ein Gefühl dafür bekommen, wo ich die nächsten vier Tage verbringe und wackele Richtung Empress Ballroom, wo mit The Lillingtons die erste Band spielt, die mich richtig interessiert. Da sich diese Bühne am anderen Ende des Gebäudes befindet, kommen wir zuerst an der Rebellion-Introducing-Stage vorbei. Ein heftiger Raum, über den sich jedes JUZ in Schland freuen würde und sicher alle Bands gerne dort auftreten. Stuck an der Decke, von der ein großer Kronleuchter hängt und alles etwas runtergekommen.

„Feinstes Punkrockambiente“, denke ich mir, bevor wir vor der bestuhlten Almost-Acoustic-Kneipe stehen und mir fast die Augen aus dem Kopf kullern. Was ist das denn? Eine richtig fette Kneipe mit großer Theke, stoffbezogenen Stühlen, die Decke sieht nochmal deutlich besser aus als im anderen Raum und natürlich weicher Teppich für die schmutzigen Schuhe. Etwas geflasht laufe ich langsam weiter. Direkt neben der Almost-Acoustic-Stage schließt ein Cafe an, wo man sich ausruhen kann. Gegenüber befindet sich ein Restaurant, dessen Speisekarte im Stil der Sex Pistols Never Mind LP gehalten ist. Sieht schon witzig aus, wenn 1A-Iropunks bei ner Anzugbedienung bestellen …

Mit den Gedanken im Kopf betrete ich eine Art Kreuzung, was sich als ein breiter Gang mit einem verglasten Kuppelgang herausstellt, der die verschiedenen Räume miteinander verbindet. Edel geht die Welt zu Grunde, hier stehen überall Palmen. Letzlich im Empress Ballroom angekommen, ist es durchaus möglich, dass die Welt noch edler zu Grunde gehen kann. Dieser Raum ist riesig, hier passen bestimmt 2.500 Leute rein und vereint eigentlich alles bisher im Winter Gardens gesehene in sich: Kuppel, Stuck, gewaltige Kronleuchter, eine Galerie und hassenichgesehen. Ich bin völlig beeindruckt. Später erzählt mir ein Kumpel, dass hier auch internationale Dart- und Tanzmeisterschaften stattfinden.

Neben diesen ersten Räumen gibt es direkt nebenan noch die Arena, das Pavillon, den Club Casbah sowie das Opera House als weitere Bühnen, zum Runterkommen noch zwei weitere Bars, die Shopping-Mall, einen Bazaar oder die echt sehenswerte Punk-Art-Ausstellung, wo man unter anderem Bilder von Charlie Harper kaufen kann.

Verständlich, dass ich außer The Lillingtons (ich brauche auch die älteren Sachen), The Restarts (neverending Lovestory), TV Smith (immer wieder ein großartiger Typ) und Idles (das wenige, was ich gesehen habe war sehr gut) keine weitere Band wirklich gesehen habe. Ich musste mich ja soviel umschauen.

Nicht geschafft zu: Buzzcocks, Bad Cop/Bad Cop, The Queers, T.S.O.L., Drongons For Europe, Riot Squad, Cyanide Pills, Splodgenessabounds.

Blackpool und der Freitag

Die Stadt Blackpool ist ein altes englisches Seebad an der irischen See, das seine besten Zeiten schon lange hinter sich hat. Aber trotzdem einen gewissen Charme beibehält, wenn man ein Faible für RTL2 und White Trash der Marke „Familie Flodder“ hat. Etwas später fasse ich das einem englischen Pärchen gegenüber so zusammen, dass Blackpool das Brighton ausschließlich für Engländer ist. Während in Brighton viel internationales Publikum und Studenten sind, befinden sich meines Erachtens in Blackpool hauptsächlich Engländer. Dass diejenigen hier, einen deutlich abgewrackteren Eindruck machen, behalte ich für mich. Es sind aber nicht bloß die Menschen die mir dieses Bild aufdrängen, der Großteil der Stadt hat ein gewissen Tedi-, kik– und NKD-Flair. Mannheim Breite Straße ick hör dir trapsen. Mit Geld wirft hier niemand um sich. Stattdessen versucht man den überwiegend einheimischen Touristen an der Strandpromenade auf einer Länge von mindestens drei Kilometer das Geld aus der Tasche zu ziehen. Dort reihen sich mittelmäßige Bars, fettige Imbisse, vermeintliche Attraktionen oder das Verfallsdatum überschrittene Revue- und Showspelunken nahtlos aneinander. Ziemlich beeindruckend.

Der Nordpier bei uns um die Ecke der Springtown Lodge würde zu rituellen Massenselbstmorden bei deutschen TÜV-Angestellten sorgen. Es hält zwar noch alles irgendwie zusammen, aber nicht alle Fußbohlen machen einen sicheren Eindruck und die vorherrschende Farbe ist eindeutig rostbraun. Dort mache ich in der Sunset Lounge eines morgens zwei heftige Beobachtungen. Die erste wie ein viermaliger Vater einen quietschgelben Slush Puppie (Hirnfrost ist vorprogrammiert) zwischen seinem Baby und seinem vielleicht vier Jahre älteren Bruder teilt. Das wichtige Detail dabei, der Vater steckt in einem wirklich abgetragenen Trainingsanzug und hat zumindest im vorderen Bereich keinen einzigen Zahn mehr im Mund. Die zweite Beobachtung sitzt direkt neben mir und ist mit seiner Frau oder Lebensgefährtin gerade hier um romantisch den Urlaub zu genießen. Das Detail an der Stelle, der Mann trägt das gleiche Outfit und besitzt ähnlich viele Zähne wie sein Pendant von eben. Obendrein haben er und seine Kleider mal wieder eine Wäsche nötig. Das rieche ich, obwohl ich bekanntlich eine olfaktorische Null bin.

Die Fülle der Eindrücke ist mittlerweile fast bedrückend. Musste ich anfangs beispielsweise noch aufgrund der vielen Schundläden mit ihren schrägen Furzsprays, der Auswahl an Megazuckerstangen oder Indianershirts plus dem üblichen Souvenirschrott schmunzeln, staune ich bloß noch. Klar, die Realityshow Hartz aber herzlich über die Mannheimer kenne ich natürlich und weiß auch über soziale Brennpunkte Bescheid. Doch das Seebad Blackpool setzt dem ganzen irgendwie die Krone auf, weil es das Ferienparadies zu solchen Scripted Realityshows ist.

Von den heutigen über 80 Auftritten sehe ich deutlich mehr als gestern: Penny Rimbaud (Crass!), Agrotoxico (scheiß Sound), Newtown Neurotics (alte und lahm), Maid Of Ace (auch im Heimatland nicht sonderlich klasse), Subhumans (eine Wucht!), The Ramonas (wirklich klasse), Rubella Ballet (danke für den Tipp Helge), GBH (City Baby …), Los Fastidios almost acoustic (mal anders), Angelic Upstarts (naja, geht so), Bar Stool Preachers (die werden groß, versprochen).

Nicht geschafft zu: Sick On The Bus, Red Alert, Petrol Girls, Bingo with Max

Fast alles geil und der Samstag

Bei allen vielleicht eher fragwürdigen Bildern, die ich bislang male, gefällt es mir in Blackpool aber trotzdem sehr gut. Es ist britisch, es ist rauh, kantig, grob und für mein Verständnis ehrlicher, als ich es aus vielen Städten aus Deutschland oder anderen Ländern kenne. Keine Ahnung wie ich es genau fassen soll. Dieses Ungeschliffene übt eine eigenartige Faszination auf mich aus. Mag der North Pier beispielsweise auch heruntergekommen sein, so ist er zig mal schöner und toller, als ein geleckter Plattenspielertestsieger aus der Mint, weil er Stil hat. Die damalige Handwerkskunst kann zwar nicht mehr erhalten werden, macht jedoch trotzdem ordentlich was her und dazu gibt es alle zehn Meter besten Swing oder Soul aus den Boxen. Ganz groß das!

Ebenfalls groß fand ich den Karaokeabend in Churchills Bar an der Ecke Topping Street/Wood Street. Ü70-Senioren und Rebellion-Besucher, die eine Pause einlegen, geben sich abwechselnd das Mikro in die Hand. Meiner Meinung nach eine hervorragende Alternative zum Rose & Crown, wenn man nichts Essen und keine Show mehr nach dem täglichen Rebellion-Spektakel sehen möchte. Denn darüber findet im The Tache, für die Leute mit richtig viel Ausdauer oder den entsprechenden Mittelchen, mittwochs das erste und sonntags das letzte Konzert über das Festivalwochenende statt.

Ach und dann findet am Samstag ja noch das Konzert für Personen statt, die offensichtlich zu viel schräges Zeugs intus oder bei der Geburt zu wenig Sauerstoff bekommen haben. Die Rede ist von einem RAC-Konzert von Nothing 2 hide Promotions, das sozusagen ab vom Schuss stattfindet, wo man dann nichts zu verstecken braucht. Wahrscheinlich unnötig zu erwähnen, dass da auch ne Teutonen-Combo auftritt – Combat BC. Da ich wissen möchte, wen sowas interessiert, wackele ich dort mal vorbei. Halt mache ich dort aber keinen. Die machen auf mich den Eindruck, als ob sie alle schräges Zeug intus oder bei der Geburt zu wenig Sauerstoff bekommen haben. Alles keine Individuen mit denen es sich lohnt, in Zeiten, in denen jemand wie Trump Präsident werden kann, zu reden. Geschweige denn zu fragen, was sie da eigentlich treiben.

Glücklicherweise sind Massen von richtig knorken Leuten ebenfalls vor Ort. Neben meiner kleinen Reisegruppe meine ich Helge Schreiber, Hechti, Michi, Holgi und den Rest der Contra-Bande, Micha, Sarah und Swen aussem Pott, Verena und Micha aus Frankfurt, der Berliner Haudegen Kay, Patrick, die Kumpels, die ich jetzt vergessen habe und ein paar Bandleute, die man so über die Jahre kennengelernt hat. Egal wo man in dem Getümmel rumlatscht oder meint sich mal ausruhen zu können, plötzlich steht doch wieder jemand da, mit dem man ein paar Worte wechselt, ein Bier schlabbert oder sonst was tut. So flutschen auf dem Gang stehend, in einer der Kneipen sitzend oder mal vor der Tür frische Luft schnappend wieder einige Bands an einem vorbei.

Müde von der etwas längeren Nacht gestern, ist es heute wieder weniger Musik, der ich folge: Red London (könnte besser sein und scheiß Sound), The Briefs (eine große Liebe, aber im Dezember muss da mehr kommen!), Reno Divorce (gewohnt klasse), Cockney Rejects (ganz schön sportlich), Lower Class Brats (nach wie vor ziemlich geil), Peter Hook & The Light (Mist, zu spät gekommen; mieser Platz und Sound = und Tschüss).

Nicht geschafft zu: Los Fastidios, Ruts DC, Toxic Reasons, Wonk Unit, Peter & The Test Tube Babies, The Filaments, Contempt, Zounds, Spizz Energi, Citizen Fish, Rude Pride, Brent Loveday

Fazit und der Sonntag

Es stimmt schon, ein Großteil der Vorurteile das Rebellion-Festival betreffend, stimmen. Sieben Bühnen sind viel zu viel und 350 Gigs innerhalb von vier Tagen braucht auch keine müde Sau. On top kommen ja noch die Kunstausstellung und der große Merchbereich. Sich alleine Winter Gardens mehr oder minder in Ruhe anzuschauen, schafft man gar nicht an einem Tag, wenn man die Zeit vor Ort genießen will.

Ebenfalls sind die Gesamtkosten ziemlich derb. Wer sich innerhalb des Winter Gardens ernährt und gerne zwei bis drölf Bier schlabbert, sollte den ein oder anderen Schein mehr in der Tasche haben. Macht man das nicht, wird es aber auch nicht sooo mega viel günstiger. Ich denke alle, die sich überlegen am ersten Augustwochenende nach Blackpool zu schippern, denen sollte bewusst sein, dass das kein Wochenend-Alarm-Ausflug wird, sondern dieses verlängerte Wochenende in die Kategorie Urlaub fällt. In der Regel eine Zeit, in der man mehr Kohle investiert, als in den schnöden Alltag.

Eine Reise ist diese Veranstaltung auf jeden Fall mal wert, sollte man sich für die Subkultur Punk und Punkrock interessieren. Weil Spaß macht es ja schon, den lieben langen Tag hin- und herzutingeln, nicht unbedingt immer ein festes Ziel zu haben, dabei Leute treffen oder kennenlernen und dabei stets einen guten Soundtrack im Ohr zu haben.

Ob mich Blackpool gleich nächstes Jahr wieder sehen wird, kann ich gerade weder bestätigen noch verneinen. Doch bin ich mir recht sicher, dass ich dort nochmal hin möchte. Denn das Feeling und die Atmosphäre stimmte ganz klar. Eben weil sich zumindest ein ganz maßgebliches Vorurteil für mein Wohlbefinden auf einer Veranstaltung nicht bestätigt. Über die fünf Tage, die ich in an dem Flecken der englischen Küste verbringe, sehe ich verschwindend wenig Grauzonen- und kein einzig wirkliches Faschoshirt.

Insgesamt möchte ich den Veranstaltern ein ganz großes Lob aussprechen! Weil was da an Arbeit drin steckt, versteht jeder, der selbst mal ein Konzert veranstaltet hat oder sich anderweitig einbringt. Und alle die, denen das sowieso zu viel ist, sollten mit ihrer Kritik ganz arg vorsichtig sein.

Das Lob ist jedoch nicht nur für den reibungslosen Ablauf, sondern irgendwie auch für das Angebot, auch wenn es erschlagend ist. Doch vor allem für die extrem gute Atmosphäre über die ganze Festivaldauer. Das hat doch ganz schön Spaß gemacht!

Da ich auch den Tag wieder recht spät in Winter Gardens beginne, halte ich wenigstens bis zum Schluss durch. Musikalisch sieht der letzte Tag so aus: Atilla’s Barnstormer (überaus klasse), The Adolescents (überzeugend auf Steve Soto Tour), The Vibrators (gruseliger Rock ’n‘ Roll Sänger), Bonecrusher (die Band in guter Verfassung, das Publikum steht dem auf dem Back To Future in einigem nach), The Adicts (ich liebe Kindergeburtstage für Erwachsene), PIL (Fock Off! – passt).

Nicht geschafft zu: D.R.I., Dirtbox Disco, Clowns, Hands Off Gretel, John Lydon Interview, Mau Maus, The Varukers.


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