
Was ist in den vergangenen Jahren nicht alles über Sleaford Mods geschrieben und gesendet worden seit sie mit “Austerity Dogs” die Musikwelt im Sturm erobert hatten. Der Hype war berechtigt – in vielerlei Hinsicht.
Es ist mehr als selten, dass Musiker jenseits der 40 plötzlich ihren großen Durchbruch haben. Dann die Musik an sich: Minimalistische und monotone Beats, die an den britischen Post-Punk der frühen 1980er Jahre genauso erinnern wie an Grime, einer britischen Spielart des Hip-Hops, die Anfang des Jahrtausends entstand. Über die Beats von Andrew Fearn spuckte und rotzte Sänger Jason Williamson seine wütenden, aggressiven und desillusionierenden Texte ins Mikro wie einst Johnny Rotten in seinen besten Zeiten.
Sleaford Mods klangen und klingen wie das fleischgewordene „No Future“ der Sex Pistols. Diese Kombination schlug ein wie eine Bombe. Das klang frisch und unverbraucht und war und ist auf seine Art mehr Punk als der Schlachtrufe BRD-Kosmos seit 30 Jahren zu bieten hat. Zum ersten Mal seit vielen, vielen Jahren ließ mich eine Band wieder zum Fanboy mutieren. Die erste Deutschlandtour der Sleaford Mods glich dann auch einem Triumphzug und ich kann mich noch gut an ihr Konzert in Wiesbaden erinnern: Ich hatte einen der schönsten Abende seit langem (und einen der schlimmsten Kater am folgenden Tag. Aber das ist eine andere Geschichte.)
English Tapas mit Sleaford Mods
Seit “Austerity Dogs”, das 2013 erschien, sind mit “Divide and Exit”, “Key Markets” und “English Tapas” drei weitere Alben sowie zahlreiche Singles erschienen, die den Ruhm des Duos immer weiter festigte.
Jetzt ist kürzlich “English Tapas” erschienen, erstmals auf dem eigenen Label. Zwölf neue Songs, die den alten Liedern in nichts nachstehen. Der Sound und vor allem Williamsons Gesang haben sich ein wenig gewandelt, aber nicht so sehr, dass es alte Fans vergraulen würde. Teilweise singt Williamson sogar, was er gar nicht schlecht macht. Ansonsten nehmen Andrew Fearn und Jason Williamson das aktuelle Zeitgeschehen wieder bitterböse aufs Korn, was angesichts des Wahnsinns, der in Großbritannien um sich greift, nicht verwunderlich ist.
In knapp drei Wochen steht der Brexit bevor und noch weiß niemand, wie es danach weitergehen soll. Darunter leiden werden natürlich wieder die einfachen Leuten und nicht die Politikerkaste, die unter anderem auch dem Elite-College Eaton entspringt, das dem Album seinen Namen lieh. Die Boris Johnsons, Nigel Farrages oder Theresa Mays haben ihre Schäfchen im Trockenen, der Rest muss sehen wo er oder sie bleibt.
Rants gegen die da oben und die da unten
Und so rantet Williamson auch auf “Eaton Alive” gegen die da oben, die den Mist verursacht haben, und die da unten, die die Lügen auch noch geglaubt haben, das es eine Freude ist, während Fearn die Rants mal wieder kongenial mit seinen Beats bereichert. Allein der Bass am Beginn von “OBCT” ist rechtfertigt den Kauf von “Eaton Alive”. Oder die kaputte Ballade “When you come up to me”, die dagegen ohne Bass auskommt und klingt, als wäre sie über ein Dosentelefon aufgenommen worden.
Natürlich darf in dieser Aufzählung auch “Kebab Spider” fehlen, der vielleicht tanzbarste Song, den die Sleaford Mods bislang aufgenommen haben. “Flipside” dagegen hätte auch auf “Divide and Exit” gut seinen Platz finden können. Ich könnte jetzt auch noch die übrigen Lieder aufzählen und über den grünen Klee loben, aber das würde den Rahmen sprengen, und ein bisschen was sollt Ihr ja auch noch entdecken können.
Der Soundtrack für die Abgehängten
“Eaton Alive” ist wieder einmal ein tolles Album geworden, das zeigt, dass die Sleaford Mods ihren Biss nicht verloren haben. Im Gegenteil, dank gestiegener Bekanntheit, kann sich Williamson nun auch mit Figuren wie Noel Gallagher öffentlich fetzen.
Die Lage in England bleibt düster, die Sleaford Mods schreiben den Soundtrack dafür und geben der Wut der Abgehängten eine Stimme. Ich wünsche mir mehr davon!

Info:
Format: LP/CD/Download
Label: Extreme eating
Band Website: https://sleaford-mods.myshopify.com/
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