Was ist denn eigentlich so schlimm an „Fake News“?

Wahrheit oder Dichtung?

„Ich lasse mir eine gute Geschichte doch nicht von Fakten kaputtmachen“ scheint das Credo der Produzenten als auch der Rezipienten zu sein. Das Internet ist die perfekte Spielweise für Fake News.

Falschmeldungen aus dem Internet können gefährlich sein. Anfang Dezember stürmte Edgar Maddison Welch mit einem Sturmgewehr bewaffnet in eine Pizzeria in Washington, D.C. Nach eigenen Angaben wollte der Mann dort minderjährige Sexsklaven befreien. Der Trump-Anhänger glaubte an eine bizarre Verschwörungstheorie namens „Pizzagate“, die behauptet, Hillary Clinton und die Pizzeria „Comet Ping Pong“ würden gemeinsam einen Kindersexring betreiben. Vor Ort stellte Welch jedoch fest, dass es sich bei der abstrusen Geschichte um „Fake News“ handelte. 

Das Schlagwort bezeichnet in der aktuellen Debatte Falschmeldungen, die bewusst im Internet verbreitet werden. Die Motive dafür können politisch sein, persönlich, finanziell – oder eine Kombination daraus. Allerdings führt das Etikett ein wenig in die Irre, denn es erweckt den Eindruck, bei „Fake News“ handle es sich um etwas ganz und gar neues. Das trifft aber nicht zu. Fake-Stories wie „Pizzagate“ entstammen letztlich derselben Logik wie andere Medienprodukte.

Matt Farley ist Musiker. Und obwohl er nicht besonders bekannt ist, hat er erreicht, wovon andere Künstler träumen: Er verdient Geld mit seiner Musik. Farley hat keinen Plattenvertrag, sondern vermarktet seine Songs über sein eigenes Label „Motern Media“ im Internet. Das Besondere dabei ist die äußerst pragmatische Arbeitsweise: der 40-Jährige schreibt Texte über Suchworte, die gerade beliebt sind. Er ermittelt erfolgreiche Keywords und macht Songs daraus. Die publiziert er unter wechselnden Künstlernamen, die er ebenfalls nach Kriterien der Suchmaschinenoptimierung festlegt.

Das Ergebnis ist meist recht sinnbefreit. Der „Poop Song“ der Fake-Combo „The Toilet Bowl Cleaners“ beispielsweise ist nicht gerade eine philosophische Meisterleistung. Allerdings wurde er bereits über 300.000 Mal allein bei der Plattform Spotify gestreamt. Die zahlt den Künstlern zwar recht wenig Geld aus, ebenso wie andere Anbieter, die Farley nutzt. Doch das Geschäftsmodell baut auf Masse.

Seit 2008 hat Motern Media bereits über 18.300 Songs im Heimstudio produziert. Auf diversen Plattformen erwirtschaftet Farley so zwischen 24.000 und 27.000 US-Dollar pro Jahr.

Der Keyword-Songwriter nutzt den Umstand, dass man im Netz im Grunde jeden Unfug vermarkten kann, wenn man sich an aktuellen Trends orientiert. Das tun auch andere Kleinunternehmer, allerdings deutlich skrupelloser: die Produzenten von „Fake News“, deren Einfluss auf die US-Präsidentenwahl momentan diskutiert wird. Ein großer Teil der Falschmeldungen wurde in der mazedonischen Kleinstadt Veles produziert, zumeist von Teenagern. Die interessierten sich gar nicht für Politik, sondern sahen in den Trump-Unterstützern nur eine Zielgruppe für Werbeanzeigen.

Auch die US-Amerikaner Paris Wade und Ben Goldman betreiben eine Pro-Trump- Website voller rechter Hetze. Die StartUp-Gründer wissen, worauf es im Online-Geschäft ankommt: spannende Inhalte, emotional ansprechend, in leicht verständlicher Sprache. Schreiben, wie die Zielgruppe spricht. Die wird über eine Social-Media- Präsenz angesprochen, die polarisiert und dadurch hohe Reichweiten erzielt. So generiert man Klicks – und die bringen Werbeeinnahmen. Wade und Goldman produzieren sozusagen auch „Poop-Songs“ – allerdings ziemlich gefährliche…

Seriöse News-Websites sehen sich ebenso gezwungen, Netzinhalte zu vereinfachen und zu kürzen. Den gängigen Marketing-Strategien zufolge soll das, wenn nicht der einzige, dann doch zumindest der einfachste Weg sein, im Internet Geld zu verdienen. Um die Produktionskosten niedrig zu halten und den Profit hoch, wird der Content nach Schablonen erstellt. Recherche ist teuer, der tatsächliche Informationsgehalt wird schnell zur Nebensache, wenn der Redakteur auf die Klickzahlen schielt. Das führt dazu, dass viele Artikel nur wenig Information vermitteln und einander sehr stark ähneln.

Die Strategien und Methoden der Vermarktung von Fake News unterscheiden sich erst einmal nicht von denen des Keyword-Sängers Matt Farley oder denen etablierter Medienunternehmen. Für alle Beteiligten ist der Inhalt letztlich eine Ware, die nach einem bestimmten Schema produziert wird und auf möglichst billige Weise eine möglichst große Zielgruppe erreichen soll. Quereinsteiger und Glücksritter haben keinen Ruf zu verlieren und können noch einen Schritt weitergehen: Die ganze Geschichte wird komplett erfunden, sie braucht nur spektakulär zu sein, um Resultate zu bringen.

Ist das wirklich schockierend und neu?

Das Fernsehen zeigt seit Jahren Scripted-Reality-Formate, in denen erfundene Stories als pseudo-authentisch präsentiert werden, möglichst mit wackelnder Kamera. Gleichzeitig reichern die Sender Dokumentationen und News-Beiträge mit „nachgestellten Szenen“ in derselben Ästhetik an, sodass die Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit weiter verschwimmt. In den sozialen Medien mischen sich Videos und Memes mit journalistischen Inhalten, persönlichen Blogs und allerlei banalem Unsinn. Erfolgreich ist, was authentisch wirkt, Gefühle anregt und schnell konsumierbar ist.

Katzenbild, Poop Song oder Fake News über eine Pädo-Pizzeria – am Ende entscheidet der Unterhaltungswert über den Profit, der sich daraus machen lässt. Wer viel Aufmerksamkeit generieren kann, findet problemlos Wege, seine Klickzahlen in ökonomischen Gewinn umzusetzen. Die Produzenten von „Fake News“ haben die Regeln des Geschäfts nicht erfunden, sondern nur besonders gut verstanden und konsequent umgesetzt. Von ethischen Standards lassen sie sich nicht aufhalten. Aber wen interessieren die schon?

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Christoph M. Kluge
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